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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Körper
befallen hatten.
    »Und das hilft?«, fragte
Wilfried besorgt.
    »Ich kann es bloß
hoffen«, antwortete Bernina vorsichtig.
    »Zuerst hatte ich nur
diese hässlichen Flecken …«
    »Auch Fieber, schätze
ich.«
    »Ja, immer wieder.«
    »Schmerzende Gelenke?«
    »Und wie!«
    »Dann ist es höchste
Zeit, dass etwas getan wird. Ich habe von Erkrankten gehört, die nicht mehr ihr
Gleichgewicht halten konnten, die ihre Sprache verloren.« Bernina sah ihm in
die Augen. »Die völlig verrückt wurden und schließlich starben.«
    Wilfried senkte den
Blick. »Ich weiß.«
    »Aber soweit muss es
nicht kommen«, versuchte sie sofort wieder zuversichtlicher zu klingen.
»Wiederholt einfach die Anwendung mit dem Holz. Manchmal stecken in der Natur
verblüffende Kräfte.«
    »Ich bete dafür, dass es
hilft.«
    Bernina warf ihm einen
aufmunternden Blick zu. »Tu das. Und ich gehe jetzt zurück zu meinem Mann.«
    »Danke! Vielen Dank für
alles!«
    »Das ist doch nicht der
Rede wert, Wilfried.«
    Kurze Zeit später lag
Bernina dicht neben Anselmo, begraben unter einem wahren Gebirge aus wollenen
Stoffen. Endlich war ihr Haar so weit nachgewachsen, dass es wieder weich um
ihre Ohren und in den Nacken floss. Sie lauschte den regelmäßigen Atemzügen
ihres Mannes, der schon eingenickt war, und dem wummernden Grollen des
hartnäckigen Sturmes. Der Tag glitt noch einmal in kurz aufschimmernden Bildern
durch ihre Gedanken, und sie dachte an den armen Wilfried und seine
angsterfüllten Blicke vor der Behandlung. Ganz langsam kam er dann doch, der
Schlaf, es war angenehm, wie er sie umschmeichelte und unter ihre Haut kroch.
Der Lärm des Windes konnte ihm nichts anhaben – doch da war noch ein anderes
Geräusch. Bernina drehte dem wiederkehrenden Laut den Rücken zu, wollte ihn
abschütteln, aber er ließ sich nicht verdrängen. Ein Klopfen, tock-tock-tock,
nicht laut, aber eben nicht leise genug, um es überhören zu können. Irgendein
Werkzeug, das an der Wand hing und gegen das Holz schlug? Bernina wühlte sich aus
den Decken. Anselmo war nicht aufgewacht. Ihr Blick durchstach das Dunkel um
sie herum. Umrisse erkannte sie. Dort hinten war die Tür, an der Wand hingen
zwei Dreschflegel.
    Das
Klopfen allerdings – es war verstummt.
    Dennoch
richtete Bernina sich auf. Irgendetwas an diesem Geräusch war ihr komisch
vorgekommen. Langsam ging sie zur Tür. Mit einem leisen Quietschen öffnete
Bernina sie. Niemand zu sehen. Da war nur das Toben des Sturmes, der
Schneewehen zwischen den Gebäuden herumwirbelte. Sie schloss die Tür und legte
sich wieder hin, eine der Decken bis an die Nasenspitze hochgezogen. Wieder
gewann der Schlaf die Oberhand, kein Geklopfe mehr, auf einmal jedoch eine
Stimme, die durch die kalte Luft trieb, auf Bernina zu, eine Stimme, die sie
erschreckte, ihr aber auch vertraut erschien, sehr vertraut, und merkwürdige
Worte erreichten Berninas Ohr: »Vergiss deine Feinde nicht! Aus einem Feind
kann immer auch ein Freund werden.«
    Erneut
wollte Bernina aufstehen, erneut kämpfte sie gegen die immer stärker werdende Müdigkeit,
doch die Stimme hatte sich bereits wieder aufgelöst, nichts übrig von ihr.
Feind und Freund, dachte sie, was soll das? Nils Norby? Ging es um ihn? Ein
Feind zunächst, dann ein Freund, in Spanien wieder auf Feindesseite, nun aber
längst weit entfernt von Bernina, irgendwo, wo auch immer … So schwerfällig
Berninas Gedanken, so bleiern ihr Kopf, so übermächtig das Bedürfnis nach Ruhe.
Dieser Sturm. Er tobte immer noch. Doch sie konnte nicht einmal mehr ihn hören.
Nichts hörte sie, gar nichts.
    Die Stille am Morgen war
beinahe unwirklich. Auch die Helligkeit, die sich durch die Bretterritzen
zwängte, mit einer bezwingenden Kraft, als wäre es der erste Tag nach langen
Jahren tiefster Finsternis. Bernina schlug die Augen auf, und Anselmos Blick
ruhte bereits auf ihr. Lächelnd strich er ihr das Haar aus der Stirn. Er gab
ihr einen Kuss.
    »Hast du gut
geschlafen?«, erkundigte er sich.
    »Eigentlich schon.« Nur
flüchtig dachte sie an den Traum, an die Einbildung, an … Was immer es gewesen
sein mochte.
    »Ich auch. Nicht einmal
von dem Unwetter habe ich noch viel mitbekommen. Ich fühle mich gut. Besser als
seit Langem.«
    »Schön, dass du wieder
ganz gesund bist.«
    »Und ob ich das bin.«
    Ein Klopfen ließ sie die
Decken von sich werfen – kein geisterhaftes Geräusch wie in der Nacht, sondern
schlicht und einfach Fingerknöchel, die auf Holz trafen.
    Sie machten die

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