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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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wunderbares Blau zum Vorschein, das man beinahe schon für
immer verloren zu haben glaubte. Das Eis über dem Bach neben dem Hof brach, und
darunter begann es zu plätschern. Der Winter versprach streng zu werden, doch
offenbar war er bereit, der Gegend fürs Erste eine Verschnaufpause zu gönnen.
    Noch zur Mittagszeit
desselben Tages verabschiedeten sich Bernina, Anselmo und Baldus von der
Familie Zipfner, die ihnen eine gute Reise wünschte und ihnen zusah, wie sie
sich zu dritt, Bernina in der Mitte, auf den Bock setzten. Den Esel, auf dem
der Gnom zum Hof geritten war, hatten sie hinten am Wagen festgebunden. Noch
als sie sich auf dem Grund und Boden der Familie Zipfner befanden, rief sich
Bernina Baldus’ eindringliche Warnungen ins Gedächtnis. Lediglich einmal hatten
sie und Anselmo darüber gesprochen, und auch nur kurz. »Ich nehme an«, hatte er
zu ihr gesagt, »du bist noch ebenso entschlossen wie zuvor, nach Teichdorf zu
reisen?«
    »Ja, das bin ich«, war
ihre Antwort gewesen.
    »Das gilt auch für
mich.«
    »Wir setzen unseren Weg
fort«, bekräftigte Bernina. »Notfalls bis zum bitteren Ende.«
    Etwa
eine halbe Stunde, nachdem sie den Zipfner-Hof hinter sich gelassen hatten,
erreichten sie die befestigte, aber ebenfalls verschneite Straße, die nach
Gundelfingen führte. Schweigend legten sie einen Kilometer nach dem anderen
zurück. Der Himmel war noch blau, die Luft noch so klar wie bei ihrem Aufbruch.
Niemand begegnete ihnen, nirgendwo am Horizont ein Zeichen von Leben.
    Irgendwann erwuchsen aus
diesem Bild der Starre die Ruinen mehrerer Gebäude. Ein einsamer Bauernhof,
ähnlich dem der Zipfners. Wohnhaus, Stallungen, ein Vorratsschuppen. Holz, das
gebrannt hatte, bis wohl der Sturm die Flammen gelöscht haben musste. Verkohlte
Bretterwände, aus den Angeln gerissene Türen. Anselmo zügelte die Pferde, und
in diesem Moment stieg eine Schar Krähen auf. Der Wagen hatte sie wohl
aufgeschreckt. Die Vögel warfen misstrauische, beinahe menschlich wirkende
Blicke auf sie, bevor sie sich auf den Ästen einer Buche niederließen, um
abzuwarten. Bis eben hatten sie an Leichen gepickt, toten Männern und Frauen,
deren Körper teilweise unter Schneeverwehungen begraben waren. Die
Sonnenstrahlen dieses Mittags vermittelten eine Behaglichkeit, die in
schrecklichem Gegensatz zu dem Anblick des Todes stand.
    »Das ist wohl einer
jener zerstörten Höfe, von denen Wilfried erzählt hat«, bemerkte Bernina, nur
um etwas zu sagen und die düstere Stille dieses hellen Tages zu zerbrechen.
    »Manchmal glaubt man«,
erwiderte Anselmo leise, »dass all diese Schrecken niemals aufhören. Gab es
schon mal einen Krieg, der länger andauerte, der noch mehr Menschenleben
gekostet hat?«
    »Bestimmt nicht«, meinte
Baldus mit angewidertem Gesichtsausdruck.
    Bernina hatte nicht
richtig zugehört. Ihre Aufmerksamkeit galt den Krähen, die ihren Blick auf
verrückte Weise zu erwidern schienen. Das Gefieder der Vögel war von einem
tiefen Schwarz. Oder leuchteten hier und da blaue Schimmer darin auf?
    »Lass uns wenigstens
diese armen Leute begraben«, sagte sie schließlich. »Und anschließend werden
wir von hier verschwinden.«
    »Der Boden könnte
gefroren sein«, gab Anselmo zu bedenken. »Dann wäre es gewiss alles andere als
einfach.« Er verstummte und schob sich vom Bock. »Mal sehen, ob wir irgendwo
eine oder zwei Schaufeln auftreiben können.«
    »Danke, Anselmo.«
Bernina glitt ebenfalls vom Wagen und umarmte ihn kurz.
    Das Ausheben von vier
Gräbern nahm viel Zeit in Anspruch, aber gemeinsam erledigten sie die trostlose
Arbeit mit stummer Ergebenheit, bevor sie erneut aufbrachen. So war es dann
auch fast schon wieder Abend, als sie endlich die Silhouetten von Häusern und
einer Kirche erblickten. »Gundelfingen«, sagte Anselmo schlicht. »Wir sind so
gut wie da.«
    Eine kleine Ortschaft,
die noch genauso aussah wie damals, als Bernina und Anselmo hier getraut worden
waren. Und die doch eine andere war. Die Siedlung schien den Atem anzuhalten,
die Unmittelbarkeit des Krieges schwebte regelrecht in der Luft. Enge Gassen
aus Kopfstein, von zertretenem, schmutzig gewordenem Schnee bedeckt. Nur
vereinzelt Menschen, die sich beeilten voranzukommen und die Neuankömmlinge nur
mit kurzen, aber unzweifelhaft misstrauischen Blicken bedachten. Hier und da
waren Söldner zu sehen, Waffen tragende Männer, die vom Krieg lebten oder
zumindest eine Zeitlang gelebt hatten. Aber sie gehörten derzeit offenbar
keiner regulären

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