Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
Vom Netzwerk:
Reise ins Ungewisse
fortzusetzen. Draußen, vor dem Wagen, legten sie Baldus nahe, dass er wie
bisher in Gundelfingen bleiben könne. »Baldus«, wandte sich Bernina an ihn. »Du
musst dich nicht verpflichtet fühlen, weiterhin bei uns zu bleiben. Wir können
dir nichts bieten und nichts versprechen, nicht einmal eine neue Arbeit. Außer,
dass es sehr gefährlich werden könnte.«
    Statt eine Antwort zu
geben, setzte sich der Gnom demonstrativ auf den Bock. Bernina musste lächeln
und nahm neben ihm Platz. Der Wirt, ein gutmütiger Kerl mit einem Wust aus
grauen Bartstoppeln, verabschiedete sie. Ohne allzu neugierig zu wirken, fragte
er, welche Richtung sie einschlagen würden. Anselmo, der sich eben zu den
anderen beiden gesellte, machte nur vage Angaben.
    Der Wirt kratzte sich am
Kopf. »Wo immer es euch hinziehen mag, meidet eine Ortschaft, die hier ganz in
der Nähe ist.«
    »Teichdorf, nehme ich
an.« Anselmo sah vom Bock zu ihm hinunter. »Wir hörten schon, dass es dort
nicht gastlich zugeht.«
    »Nicht gastlich?« Der
Wirt lachte spöttisch. »Die Teichdorfer haben sich vor einiger Zeit bewaffnete
Truppen angeheuert, die ihnen Schutz bieten sollten. Damit allerdings haben sie
das Übel geradezu ins eigene Nest eingeladen. Ein rätselhafter Mann ist der
Herrscher über den Ort, ein Mann, der Geige spielt. Er und seine Handlanger
führen sich anscheinend auf wie Könige, als wäre Teichdorf ihr Land. Allerdings
bösartige Könige.«
    Bernina und Anselmo
warfen sich einen stummen Blick zu.
    Der Wirt spuckte aus.
»Also, haltet euch fern von dem Ort.«
    »Danke für den Hinweis«,
erwiderte Anselmo leise.
    »Kennen Sie den
Petersthal-Hof?«, hörte sich da auf einmal Bernina eine Frage stellen.
    »Sicher.« Ein langsames
Nicken. »Das heißt nicht, dass ich je dort gewesen wäre. Aber jeder hier hat
von dem Hof gehört. Soviel ich weiß, ist er auch zerstört worden. Muss ein
schöner Hof gewesen sein. Na ja, das waren viele Höfe.« Er spuckte aus. »Bevor
der Krieg kam.«
    Bernina nickte, als wäre
mit keiner anderen Antwort zu rechnen gewesen.
    »Ruinen«, fuhr der Mann
fort. »Irgendwann wird das ganze Reich bloß noch aus Ruinen bestehen.«
    »Noch eine Frage«, fügte
Bernina hinzu. »Kloster Murnau. Wissen Sie, wo das ist?«
    Er kratzte sich an
seinem Stoppelkinn. »Ja, so in etwa.« Etwas umständlich erklärte er, dass man
das Kloster ein ganzes Stück weiter im Norden finden würde. Ein paar weitere
Angaben folgten, bevor er schloss: »Murnau liegt noch auf badischem Grund, da
bin ich mir sicher. Aber man braucht gute Pferde, um schnell dorthin zu
gelangen.«
    Bernina bedankte sich
für die Auskünfte, und mit einem Zungeschnalzen brachte Anselmo die Pferde
dazu, sich in Bewegung zu setzen. »Schon wieder die Warnung, Teichdorf am
besten zu umgehen«, meinte sie zu ihm, und in ihrer Stimme schwang Galgenhumor
mit.
    Nach einer Weile, sie
befanden sich schon auf der Hauptstraße, sagte Anselmo auf einmal ganz
unvermittelt: »In all den Jahren, seit ich Spanien verließ, wollte ich ihm nie
wieder begegnen. Er war es, der das Unheil über unsere Familie brachte. Sicher,
auch Juan, mein Onkel. Aber hauptsächlich er. Wäre er nicht gewesen, er und
seine hinterhältigen verbrecherischen Intrigen, wäre es auch nie zu dem
Zwischenfall gekommen, der mich dazu zwang, meine Heimat zu verlassen.« Er
blickte geradeaus und nickte kaum merklich. »Ja, niemals wieder wollte ich ihn
treffen. Nun ist es genau umgekehrt. Nun will ich in seine Augen sehen und ihm
sagen, wie sehr ich ihn verachte.«
    »Als du noch in
Teichdorf warst und mit Pablo gesprochen hast, da wusstest du nicht, dass er
sich ebenfalls in Teichdorf aufhält.«
    Anselmo schüttelte den
Kopf. »Nein, wahrscheinlich haben er und Pablo beschlossen, dass ich nichts
davon erfahren sollte. Sie hatten ja vor, mich zu Juan zu bringen, damit er
Druck auf Mutter ausüben konnte. Ich denke, er wollte mich nicht einmal aus der
Entfernung sehen.«
    Sie passierten gerade
die letzten Häuser des Ortes, als Baldus sich mit zurückhaltender Stimme zu
Wort meldete: »Darf ich etwas fragen? Wer ist mit ›er‹ gemeint? Ich verstehe
nicht, um wen es geht.«
    Bernina überließ es
Anselmo zu antworten: »Es geht um meinen Vater.« Ein kurzes, kaum vernehmbares
Seufzen. »Seit Jahren lebt er ein Leben auf der Flucht. In Spanien, im
Kaiserreich, in den Niederlanden. Das Leben eines Verbrechers, unterstützt von
Galgenvögeln, die für Geld alles tun.«
    »Dir ist erst in

Weitere Kostenlose Bücher