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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Armee an, waren vielleicht sogar eher Deserteure oder Ganoven.
    Immer wieder spähten
Bernina und Anselmo nach vertrauten Gesichtern. Zu ihrer Erleichterung jedoch
erkannten sie niemanden – und niemand erkannte sie. Was Bernina nur recht war.
Wer hätte schon ahnen können, wie man hier auf heimatlichem Boden auf sie beide
reagieren würde, angesichts der dramatischen Umstände, die damals Berninas
Verschwinden begleitet hatten. Der Winter verhalf ihr und ihrem Mann zu einer
wirksamen, unauffälligen Verkleidung, machte er es doch erforderlich, sich noch
tiefer unter Stoffen zu verstecken und das Gesicht fast vollständig unter
wärmender Wolle verschwinden zu lassen.
    Sie kamen in einem
Gasthaus unter, Zum Grünen Baum, das größer war als jenes in dem französischen
Dorf. Doch mehr als ein winziges zugiges Zimmer war nicht für sie beide frei,
und Baldus musste mit einem Bretterverschlag Vorlieb nehmen, der sich an den
hinter dem Gebäude liegenden Stall anschloss. Direkt daneben konnten sie auch
ihren Wagen abstellen. Baldus machte sich gleich auf, den Esel zurückzubringen,
den man ihm ausgeliehen hatte, und seine wenigen Habseligkeiten aus einer
halbverfallenen Hütte zu holen. Darin hatte er seit seiner Ankunft in
Gundelfingen die Nächte verbracht.
    Später im Schankraum,
als sich die Nacht mit undurchdringlichem Schwarz über den Ort wölbte, bei
einer Mahlzeit aus steinhartem Brot und einer faden Gemüsebrühe, hörten sie
alle drei aufmerksam, was um sie herum gesprochen wurde. Baldus wurde vom Wirt
erkannt, sonst allerdings von keinem der Anwesenden. Bernina und Anselmo
ernteten von Zeit zu Zeit neuerliche Blicke des Argwohns. Aber sie ließen sie
an sich abprallen. Die Unterhaltungen der anderen Gäste waren für sie von
großer Bedeutung. So erfuhren sie, dass in der Nähe Soldaten gesichtet wurden.
Offenbar keine kleinen versprengten Einheiten, sondern große Truppenteile, die
bestens ausgerüstet waren und einen kampfbereiten Eindruck hinterließen. Allem
Anschein nach rückten kaiserliche Soldaten unter General von Korth aus
Nordosten heran, während sich d’Orvilles Männer aus westlicher Richtung
näherten. Irgendwo in dieser Gegend würden diese beiden Todeskeile
aufeinanderprallen. Und das wohl schon sehr bald.
    Als die Nacht
voranschritt, kam Baldus mit einem älteren, sichtlich angeheitertem Herrn ins
Gespräch, und mit Geschick gelang es dem Gnom, dem Fremden etwas Überraschendes
zu entlocken. Während eines zunächst noch harmlosen Geplauders stellte sich
heraus, dass der Mann bei den Arbeiten an der Teichdorfer Kirche mitgeholfen
hatte. So kam das Gespräch auf Pfarrer Egidius Blum. »Der ist ja weg«,
verkündete der trinkfreudige Herr.
    »Blum? Nicht mehr in Teichdorf?«
    »Richtig. Schon seit
einiger Zeit. Ich denke mir, dass er in einer größeren, wichtigeren Gemeinde
Verantwortung übernehmen wird. Ist ja auch ein fähiger Kerl, der Herr Pfarrer.
Der hat aufgeräumt in Teichdorf.«
    »Das kann man wohl
sagen«, warf Baldus ein und konnte bei diesen Worten kaum seinen bitteren
Sarkasmus verbergen. »Aber wo er im Moment ist, das wissen Sie wohl nicht?«
    »Ich hörte, dass es ihn
ins Kloster Murnau verschlagen hat. Schon mal gehört davon?«
    »Der Name kommt mir
bekannt vor«, murmelte Baldus.
    »Ein altes, höchst
angesehenes Kloster. Zugleich ein für uns gewöhnliche Leute sehr
geheimnisvoller Ort. Wissen wird dort gehütet, der Glaube gepflegt. Nur
wichtige Vertreter der Kirche machen Station in Murnau, soweit es mir bekannt
ist. Ehrenwerte Männer wie Pfarrer Blum eben.«
    Bernina hatte, ebenso
wie Anselmo, schweigend zugehört. Die unerwartete Neuigkeit übte eine seltsame
Wirkung auf sie aus. Irgendwie verspürte sie eine dumpfe Enttäuschung. Obgleich
Egidius Blum nackte Furcht in ihr auslöste: Sie hätte es genossen, ihm in die
Augen zu sehen. Ihm zu zeigen, dass sie stark war, sich nicht vertreiben ließ.
Dass sie nicht aufgab. Wie hätte er wohl reagiert? Sie erinnerte sich an die
eigenartigen, nicht zu durchschauenden Blicke, mit denen er sie so häufig
bedacht hatte. Ganz kurz schloss Bernina die Augen, und für einen
Sekundenbruchteil meinte sie im Stimmengewirr des Gasthauses das leise Rascheln
von Blums einfachen Bastschuhen hören zu können.
    Nach und nach
verabschiedeten sich die Gäste aus dem ›Grünen Baum‹, der Wirt gähnte vor sich
hin, und so zogen sich auch Bernina, Anselmo und Baldus zurück. Nach einer
kurzen Nacht machten sie sich früh bereit, die

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