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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Sie mir das lieber einmal.«
    »Ich
war eben dabei.« Nichts als Kälte in seiner Stimme. In den Augen jedoch war
nach wie vor etwas anderes. Sie merkte, wie sein Blick über sie hinwegstrich,
über das Kleid, das sich schmutzig an ihren Körper schmiegte und durch die
zerrissenen Stellen Haut offenbarte, über ihr langes Haar, schließlich über ihr
Gesicht.
    »Sehen Sie«, fuhr er
fort. »Ich habe mir zum Ziel gesetzt, alles von Teichdorf fernzuhalten, was der
Lehre Gottes schaden könnte.«
    »Vor mir hat Gott gewiss
nichts zu befürchten«, warf Bernina ein.
    »Das gilt es noch zu
klären.«
    Sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß immer noch nicht, wovon Sie eigentlich sprechen.«
    »Ich bin sicher, Sie
wissen es.« Der Pfarrer spitzte kurz die Lippen. »Nämlich von den Dingen, die
sich auf dem Feld zugetragen haben.«
    »Darüber sollten Sie
nicht mit mir reden. Ich habe keine Kinder in die Erde eingegraben.«
    »Keine Sorge, was da
passiert ist, wird aufgeklärt werden. Ich bin dabei, alles darüber in Erfahrung
zu bringen und dafür zu sorgen, dass etwas Derartiges nicht mehr geschehen
kann.«
    Sie lächelte ihn an.
»Was Sie nicht sagen.«
    »Sie allerdings«, seine
Stimme hob sich, »betrifft die Sache, die anschließend vorgefallen ist.«
    »Anschließend?«
    Er nickte. Und fragte
dann auf einmal: »Haben Sie Durst?«
    Überrascht sah sie ihn,
wollte schon nicken – und konnte sich gerade noch zurückhalten. »Nein«,
erwiderte sie kalt.
    »Nein?« Seine
Augenbrauen schoben sich in die Höhe. »Und auch keinen Hunger, vermute ich?«
    »Nein.«
    »Dann können wir ja
weitermachen.«
    Bernina sagte nichts.
    »Wir hatten ja bereits
Ihre Kräfte erwähnt.« Er sprach ohne Betonung, und dennoch war es, als würden
die Worte wie etwas Festes, Greifbares durch den Raum schweben. »Kräfte, die …«
    »… die es nur in Ihrer
Fantasie gibt«, fiel sie ihm ins Wort.
    »Kräfte«, redete er
einfach weiter, »die für viele Mitbürger offensichtlich wurden.«
    »Herr Pfarrer, Sie sind
dabei, sich lächerlich zu machen.«
    »Ganz
und gar nicht.« Weiterhin Worte ohne Betonung. Ohne hörbare Gefühlsregung. »Wie
können Sie es erklären, dass seit Ihrem Auftauchen auf dem Weizenfeld keine
Krähen mehr rund um Teichdorf gesehen wurden?«
    »Was
sagen Sie da?«, entfuhr es ihr, nun doch verblüfft.
    »Keine
einzige Krähe. Die Leute meinen, Sie hätten sie vertrieben. Mit Kräften, die
sich nicht beschreiben lassen.«
    Bernina lachte auf. »Ich
habe nur versucht, die Krähen zu verscheuchen. Nicht zu verzaubern.«
    »Sie haben dabei
Zaubersprüche gerufen.«
    »Überhaupt nichts habe
ich gerufen.«
    »Aber ich habe mich mit
mehreren Zeugen unterhalten können, die alles sahen.«
    So ironisch wie es ihr
möglich war, sagte Bernina: »Es wundert mich, dass Krähen auf einmal so beliebt
sind und vermisst werden.«
    »Es geht nicht darum,
wie beliebt Krähen sind.« Maskenhaft sein Blick. »Es geht um die Kräfte, die in
Ihnen wüten.«
    »Was gerade in mir
wütet, würden Sie nie begreifen. Aber jedenfalls sind es keine besonderen
Kräfte. Ich bin nur eine Frau. So wie die Krähen nur Krähen sind.«
    »Manche Leute behaupten
auch, dass die Felder des Petersthal-Hofes niemals von Krähen behelligt wurden.
In all den Jahren nicht.«
    »Haben Sie jemanden
gezwungen, so etwas Dummes zu behaupten?«
    »Gewiss nicht«,
entgegnete Blum unbeeindruckt. »Niemand wurde zu irgendetwas gedrängt. Die
Leute haben es von sich aus gesagt.«
    »Selbst wenn: Das ist
doch nur albernes Gerede. Vielleicht mögen mich ein paar von ihnen nicht,
vielleicht haben sie auch einfach nur Angst. Vor Ihnen und vor den Männern, die
Sie nach Teichdorf gebracht haben.«
    »Warum sollten sie Sie
nicht mögen?«
    »Weil ich nicht viel mit
ihnen zu tun habe. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten.«
    »Die Leute missgönnen
Ihnen den Hof? Ist es das?«
    Bernina fiel auf, dass
das genau die gleichen Worte waren, die vor kurzer Zeit Anselmo gebraucht hatte.
    Ja, Anselmo …
    Du hast mich im Stich
gelassen, Anselmo.
    Zum ersten Mal überhaupt
formte sie in Gedanken diese Worte. Wo mochte er jetzt sein? Was hatte ihn so
plötzlich fortgetrieben von ihr? Bernina sah das Seidentuch vor sich, hatte auf
einmal das Aroma des Duftwassers in der Nase. Und sie las den geschwungenen
Namenszug auf dem Schreiben. Isabella.
    »Möchten Sie nicht
antworten?« Die Stimme Egidius Blums war einen Tick lauter, eine Spur
fordernder geworden. »Denken Sie, dass die

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