Die Sehnsucht der Krähentochter
Regenwasser
vollgesogenen Äste auszuweichen.
Alles passierte
innerhalb eines Wimpernschlages.
Der Schmerz in ihrem
Oberarm beim Aufprall, der Schwung, der sie aus dem Sattel hob. Auf einmal die
vorüberfliegenden Baumkronen und die grauen Wolken über ihr und dann die
feuchte Erde, in die sie mit voller Wucht aufschlug.
Ein Moment der
Orientierungslosigkeit, doch schon war sie wieder auf den Beinen. Sie
versuchte, den überraschten Hengst zu erreichen, als ein Hieb ihre Schulter
traf und sie erneut zu Boden streckte.
Die Soldaten glitten
geschmeidig vom Rücken ihrer Pferde, ihre roten Umhänge wehten, die Degenspitzen
funkelten. Bernina stand auf, diesmal langsam – es gab keinen Ausweg. Mit
selbstsicherem Grinsen kamen die Soldaten auf sie zu, jeder von einer Seite.
Doch wie aus dem Nichts
ein Schatten, groß und breit. Eine ausholende, kraftvolle Bewegung, fast zu schnell
für das Auge, und der Knauf eines Degengriffs traf mit trockenem Laut den Kopf
eines der beiden Soldaten.
Während der Spanier mit
blutigem Haar bewusstlos auf die Erde sank, versuchte der Zweite Bernina zu
packen, die jedoch geschickt auswich.
Der Mann, der so
plötzlich aufgetaucht war, ging auf den Soldaten zu. Klingen trafen sich,
wieder und wieder. Wie gelähmt verfolgte Bernina, wie der Spanier
zurückgedrängt wurde. Seine Waffe stach ins Leere, und im gleichen Augenblick
drang blitzender Stahl in seinen Brustkorb. Er hustete, Blutstropfen auf den
Lippen, und sank zu Boden. Sein Blick wurde starr. Er fiel nach vorn und blieb
reglos liegen. Ein letztes Röcheln, er war tot.
Ein Moment abgrundtiefer
Stille.
Der Mann blickte Bernina
nicht an, sondern säuberte seine Degenklinge mit Grasbüscheln und Blättern. Er
wirkte völlig ruhig, während sie das Trommeln ihres Herzens ganz stark fühlte.
Lässig verstaute er seine Waffe in der Scheide. Erst da fiel der Blick aus
diesen grünen Augen auf sie.
»Sehen Sie zu, dass Sie
Ihr Pferd einfangen, bevor es zu weit weg ist«, flog ihr seine Stimme mit dem
harten Akzent entgegen.
Sie wollte etwas
erwidern, aber er hatte sich schon abgewandt. »Ich bin gleich wieder hier«,
sagte er noch. »Wir müssen uns beeilen. Sonst wacht der Zweite wieder auf. Oder
die anderen kommen auf die Idee, hier nach Ihnen zu suchen.«
Ohne lange nachzudenken,
tat Bernina, was er sagte. Sie eilte zu dem Pferd und schwang sich wieder in
den Sattel. Kaum hatte sie die Zügel fest in beiden Händen, hörte sie von
weichem Waldboden gedämpfte Hufschläge.
Er ritt im Trab heran,
das Packpferd an einem Seil hinter sich führend. Seine blonden Haare wehten im
Wind, die graue Strähne stach hervor. Erneut trug er den Lederwams, nicht mehr
den Hut, den er hinter sich am Sattel festgemacht hatte. In seinem Blick war
etwas Verwegenes.
»Los«, meinte er nur,
und folgte ihm ohne Abwägen. Nicht nur, weil er sie aus ihrer Notlage gerettet
hatte, sondern wohl auch weil etwas Bezwingendes von ihm ausging.
Sie ritten durch den
Wald, erst nach Westen, dann in südliche Richtung, Berninas Blick auf den
breiten Rücken jenes Mannes gerichtet, den sie erst als Henker, dann als
Wolfsjäger kennengelernt hatte – und der sie immer weiter wegführte vom
Petersthal-Hof und von Teichdorf.
»Mir ist nicht ganz wohl
dabei«, rief sie irgendwann, »mich so weit von meinem Hof zu entfernen.«
»Was wollen Sie dort?«
Er drehte sich nicht zu ihr um. »Sterben?«
Er achtete darauf, den
Schutz des Waldes nicht aufzugeben, größere Lichtungen zu meiden und hin und
wieder einen kurzen Halt einzulegen, um in die Stille zu lauschen, die sie
umgab. Bernina spürte, wie die nicht sehr schnelle Gangart ihrem Pferd guttat.
Es begann, sich von dem höllischen Ritt zuvor zu erholen.
»Ich glaube, es ist
niemand mehr hinter uns her«, mutmaßte der Wolfsjäger nach einer ganzen Weile.«
Er glitt aus dem Sattel und führte seine Tiere zu Fuß zu einer Stelle, an der
sich der Wald ein wenig lichtete.
Bernina tat es ihm
gleich. Ihr Hengst schnaubte auf, anscheinend abermals froh darüber, etwas Ruhe
zu finden.
Der Wolfsjäger band
seine Pferde an einem Baum fest, und erneut folgte sie seinem Beispiel. »Eine
längere Pause tut nicht nur den Tieren gut«, bemerkte er, »sondern auch Ihnen.«
Kaum hatten sie sich ins
hohe Gras gesetzt, fühlte Bernina ihre Erschöpfung, stark und brennend wie ein
Fieber. Ihr Bauch brummte auf, von Neuem verspürte sie das überwältigende
Bedürfnis nach Wasser. Die letzten Tage hatten Spuren
Weitere Kostenlose Bücher