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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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auf kaiserlicher Seite zu den
erfahrensten Feldherren dieses endlosen Krieges zählte.
    Noch mehr reisendes Volk
tauchte auf, erschöpft, auf der Flucht, auf der Suche nach einem Neuanfang,
noch mehr Bettler quetschten sich in die Gassen. Und noch mehr
besorgniserregende Gerüchte: In der Nähe von Braquewehr waren Soldaten gesehen
worden. Schwer bewaffnete Männer, die man weder der einen noch der anderen
Seite zuzuordnen vermochte.
    Nach einem langen harten
Winter litt die ganze Gegend nicht nur an der Angst, sondern jetzt auch an
diesem schlimmen Sommer. Im Gegensatz zu Teichdorf hatte es kaum einmal sonnige
Tage gegeben. Feldfrüchte verkümmerten, Getreidevorräte konnten nicht angelegt
werden. Kaum war das Korn gewachsen, hatten es Hungernde von den Halmen
gerissen, um es zu einem zähen Brei zu verkochen. Viele konnten sich kein Brot
mehr leisten. Statt auf Weizen griffen die Bäcker auf Roggen zurück, dann auf
Hafer und sogar auf Mutterkorn. Zu wenig zu essen, zu viele Menschen. In großen
Städten erst recht, aber ebenso an einem abgelegenen Fleckchen Erde wie
Braquewehr. Das Einzige, was in diesem Sommer zu blühen schien, waren
Krankheiten. Masern, Cholera, Typhus. Und natürlich Furcht und Aberglaube.
    Auch in dem
zweigeschossigen Haus im Ortskern wurden noch mehr von den Kränzen aus
Johanniskraut und Majoran angebracht. In jeder Ecke des Gebäudes waren sie zu
sehen und zu riechen.
    An den Schlupfwinkel, in
den sie durch Zufall und Not geweht worden war, hatte sich Bernina noch nicht
gewöhnt. Doch nun, nach einigen Tagen, wurden ihre Schritte sicherer. Sie
erholte sich von den Strapazen und Ereignissen der Vergangenheit, zumindest
körperlich, auch ihr Selbstbewusstsein schien zurückzukehren. Jedem neuen
grauen Morgen sah sie gefasster entgegen. Nur wie es wirklich weitergehen
sollte, was sie mit ihrem aus den Fugen geratenen Leben anfangen sollte –
darüber konnte und wollte sie noch nicht nachdenken.
    Schon bevor die Sonne
über die Felsengipfel hinwegkroch, war Bernina auf den Beinen. Auch ehe Meister
Schwarzmaul sich mit verdrießlicher Miene sehen ließ. Sie begann, in der Küche
die Morgensuppe zuzubereiten. In der Tat, Schwarzmaul erwies sich nicht als
armer Mann. Immer fand sich etwas in der Vorratskammer, sodass es auch für ein
Mittagsmahl reichte. Kraut, Brei und Rüben, sogar Fleisch, ab und zu eine
Forelle, sehr oft Waldbeeren. Und Suppen, immer wieder. Kohlsuppe, Reissuppe,
Quittensuppe, Apfelsuppe, Biersuppe. Die meisten anderen Leute hatten
wesentlich weniger, viele überhaupt nichts. Unter Schwarzmauls Dach wurde
selbst abends gegessen, schweres Roggenbrot, zumeist mit Fenchel belegt. Und
der Meister trank dazu immer ein großes Becherglas badischen Wein.
    Zu dritt saßen sie am
aufgebockten Tisch, Schwarzmaul auf dem einzigen Stuhl, Bernina und Pierre auf
einer Sitzbank, die an der Wand befestigt war. Mitten auf der Tischplatte eine
große Schüssel, aus der sich alle bedienten.
    Pierre war ein Geselle,
aber irgendwie auch Mädchen für alles. Er musste Besorgungen machen, Nahrung
einkaufen und sogar die Waldfrüchte sammeln gehen, die trotz der zu kühlen
Witterung üppig wuchsen. Er war ein Junge von etwa 15 Jahren mit hellem Haar,
das ihm in die Augen hing. Ein Junge, der nicht sprach. Zuerst dachte Bernina,
er bringe den Mund aus allzu großem Respekt vor seinem Meister nicht auf, dann
erkannte sie, dass Pierre stumm war. Eingeschüchtert hatte ihn Schwarzmaul aber
trotzdem, das war offensichtlich.
    Bernina trug ein Kleid,
das sie von Schwarzmaul erhalten hatte, ohne zu erfahren, woher es stammte.
Doch es passte gut, und ihr blieb ohnehin keine Wahl: Ihr eigenes Gewand
bestand schließlich nur noch aus Fetzen. Sie kümmerte sich um das Essen, hielt
die Küche und die anderen Räume sauber und musste neue Kränze aus Johanniskraut
anbringen.
    Ihre Aufmerksamkeit galt
allerdings auch der Werkstatt, die im vorderen Bereich des Erdgeschosses
untergebracht war und gleichzeitig als Verkaufsraum diente. Von Anfang an hatte
sie Neugier in Bernina ausgelöst. Immer wieder spähte sie durch die angelehnte
Tür. Bis Schwarzmaul sie aufforderte, nicht nur hineinzusehen, sondern Hand
anzulegen.
    Er erklärte ihr, dass er
vor Kurzem noch zwei weitere Gesellen gehabt hatte. »Aber sie waren bei einem
Sonntagsausflug nach Straßburg von der französischen Armee geworben worden. Mit
Versprechungen oder mit Zwang, wie das immer so läuft.« Er nickte vor sich hin,
den Blick auf sein Reich

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