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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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findest.«
    Heller war es geworden,
die dunstigen Schleier hatten sich aufgelöst, aber noch kam die Sonne nicht
durch.
    Der Wachposten führte
sie mitten ins Lager, und die Blicke der Soldaten prallten geradezu auf
Bernina, sie konnte sie spüren wie zuvor die Pistolenmündung. Schweiß hatte
sich auf ihrer Stirn gebildet. Sie trug die Muskete noch immer über ihrem Kopf,
und in ihren Armen breitete sich unaufhaltsam ein zäher Schmerz aus. Vorbei an
den Soldaten auf den Pferden, vorbei an denen, die noch bei ihren Tieren
standen. Einige von ihnen traten zur Seite, um einen Mann mit weißem, hoch
gezwirbeltem Schnurrbart vortreten zu lassen.
    »Halt!«, befahl die
Stimme hinter Bernina.
    »Was ist los?«,
schnarrte der Schnauzbärtige. »Wer ist das?«
    »Das wollte der Kleine
nicht sagen, Feldwebel Meissner. Vielleicht spricht er ja mit Ihnen.«
    Der Feldwebel stellte
sich vor Bernina. »Weg mit der Muskete.«
    Sie warf die Waffe auf
die Erde und ließ die Arme an ihren Seiten herabbaumeln. Die Schmerzen darin
blieben.
    »Besonders gefährlich
siehst du ja nicht aus.« Er runzelte die Stirn. »Also, spuck’s schon aus. Wer
bist du und was willst du, Kleiner?«
    Bernina deutete mit dem
Finger auf das blutige Halstuch. Ihre Lippen waren trocken, in ihrer Kehle
setzte sich ein harter Klumpen fest.
    Der Mann musterte sie.
»Dich hat’s am Hals erwischt? Du kannst nicht sprechen?«
    Rasch nickte sie. So,
wie Pierre es wohl getan hätte.
    »Kommst du aus
Braquewehr? Hast du dort von uns erfahren?«
    Bernina nickte erneut.
    »Da war wohl einiges los
heute Nacht.« Sein Blick legte sich auf ihre zerschlissene Kleidung. Er hob die
Muskete auf und überprüfte sie. »Und was mache ich nun mit dir?«
    »Wie wär’s mit
abknallen?«, schlug der Wachposten mit hämischem Ton vor.
    »Sicher, das ist eine
Möglichkeit.« Der Feldwebel nickte. »Aber vielleicht nicht einmal den
Bleiklumpen wert, den es kostet.« Er nahm den Hut ab und strich sein schütteres
Haar zurück. »Schnürt den Kleinen fest zusammen und lasst ihn im Wald zurück.
Ein Schuss könnte die Truppen in der Stadt alarmieren.«
    Als er sich abwandte,
ertönte Berninas Stimme, so heiser, so rau es ihr nur möglich war. Und mit
einem Flehen, das sie selbst erstaunte: »Ich … will … nach Spanien.«
    Überrascht sah der
Feldwebel sie an. »Nach Spanien? Du weißt also, wohin wir wollen. Und du willst
mit uns kommen?« Er warf einen kurzen Blick zu den Männern, die am nächsten bei
ihm standen. »Aber warum willst du das?«
    »Ich … bin … ein …
Soldat.« Bernina straffte sich, versuchte sich größer zu machen, als sie war.
»Ein Soldat ohne Armee. Ich will … weg von hier. Nach Spanien. Ich kann
kämpfen.«
    Der Feldwebel verschränkte
die Arme vor der Brust. »Irgendwie bist du ein komischer Vogel.«
    »Ich möchte nach
Spanien.«
    »So, so. Willst uns also
begleiten.« Sein Mund war ein harter Strich. »Die Frage ist nur, ob ich auch
will, dass du mitkommst.«
     
    *
     
    Durch Wälder und über felsige Bergkuppen hinweg, dem einen oder
anderen Bach folgend, und weiter, immer weiter in westlicher Richtung. Eine
stille Ansammlung von Männern, von denen die meisten daran gewöhnt waren, lange
Strecken auf dem Pferderücken zurückzulegen. Abenteurer mit hageren, verwegenen
Gesichtern. Auch bei den kurzen Pausen entstanden kaum Gespräche. Der Himmel
riss auf, die Sonne zeigte sich, und selbst die Wolken schien es nach Westen zu
ziehen.
    Eine merkwürdig
verhaltene Stimmung haftete diesen Soldaten an, die entweder ziemlich jung oder
bereits äußerst erfahren zu sein schienen. Sie strahlten etwas aus, das nicht
zu fassen war, etwas Geheimnisvolles, Düsteres. Bernina fiel es nicht leicht,
sich einerseits betont unauffällig zu geben und andererseits ihre Aufmerksamkeit
angesichts der Fremden, die sie umgaben, ein wenig zu zügeln. Armeeeinheiten,
die sie früher in Ippenheim und Offenburg erlebt hatte, waren anders gewesen,
ganz anders. Allein schon deswegen, weil sie von Musikanten begleitet wurden,
von Trommlern und Pfeifern, aber auch von einigen Handwerkern wie Zimmerleuten,
Schmieden und Fuhrknechten. Manchmal zogen den Kämpfern sogar Gruppen von Huren
hinterher. Hier nicht, so wie es ja schon Irmtraud berichtet hatte. Bloß eine
Handvoll Knappen und ein einziger Büchsenmeister gehörten zur Armee, die, wie
Bernina geschätzt hatte, aus gerade einmal 100 Männern bestand, vielleicht auch
ein paar mehr. Besonders fiel Bernina die Tatsache ins

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