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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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gesprochen hatte – wie auch die Blicke aller übrigen.
    »Mir scheint«, fuhr er,
an Meissner gerichtet fort, »das haben Sie uns immer noch nicht gesagt.« Schwer
zu erkennen, ob einfach nur Faulheit aus seiner Stimme sprach – oder eher
Provokation.
    Der Feldwebel ging ein
paar Schritte auf ihn zu und antwortete so laut, dass er im gesamten Lager zu
verstehen war. »Doch, das habe ich. Wir sind aufgebrochen, weil es in
Braquewehr langsam zu heiß wurde, um es mal so auszudrücken. Am Ende wären wir
noch in die Kämpfe verwickelt worden. Und außerdem«, sein Blick kreiste die
Männer ein, »wurde es ganz einfach Zeit. Wir haben schon zu viele Tage
verloren, ohne dass wir unser Kontingent wesentlich aufstocken konnten.«
    Der Soldat an der Erle
winkte geringschätzig ab. »Ach?« Er war ein Hüne mit massigen Schultern, grau
durchsetztem Vollbart und hohem Federhut. »Hieß es vor Kurzem nicht noch, wir
würden erst aufbrechen, wenn dieser sagenumwobene Offizier bei uns eingetroffen
wäre?«
    »Keine Sorge, der wird
noch zu uns stoßen«, betonte Meissner. »Es war ja gerade sein Befehl, dann aus
Braquewehr zu verschwinden, wenn die regulären Truppen die Stadt erreichen. Und
genau daran habe ich mich gehalten.«
    Also seid ihr keine
reguläre Armee, dachte Bernina. Aber das war ihr auch schon vor diesen Worten
klar gewesen.
    »Langsam glaube ich«,
meinte der Vollbärtige, »man will uns hier zum Narren halten. Wenn ich schon
meinen Kopf riskieren soll, dann will ich wenigstens wissen wofür.«
    »Du wirst fürs Kämpfen
bezahlt. Nicht fürs Wissen.«
    »Verdammt noch mal, was
soll das mit Spanien? Meissner, wenigstens soviel kannst du doch verraten. Was
erwartet uns dort?«
    Das Gemurmel, das darauf
entstand, drückte Zuspruch aus. Die Männer starrten Meissner an. In ihren Augen
schimmerte der gleiche herausfordernde Glanz wie bei dem Kerl mit dem Bart.
Ganz plötzlich war diese Situation entstanden, eine Situation, in der es zur
Explosion kommen konnte – Bernina spürte das.
    »Was erwartet uns in
Spanien?«, rief der Soldat, nun noch ermutigt durch die unübersehbare Zustimmung
der übrigen. »Warum erzählst du uns das nicht, Meissner?« Er lachte spöttisch
auf. »Oder willst du das lieber dem großen Offizier überlassen, den du nicht
müde wirst anzukündigen? Ich halte jede Wette, dass der Mann nur ein Geist ist.
Und unser Sold auf geisterhafte Weise verschwinden wird.«
    Plötzlich ein Aufblitzen
im farblos dämmrigen Himmel – und ein Surren. Fast zu schnell für das
menschliche Auge durchschnitt ein silbern schimmernder Gegenstand die träge
Luft und riss dem Vollbärtigen den Hut vom Schädel, sodass die Kopfbedeckung
zusammengeknautscht an den Stamm der Schwarzerle gepresst wurde.
    Der Hüne stand wie
erstarrt.
    Der Gegenstand war kein
Wurfmesser, sondern ein gezacktes Eisen. Bernina kannte es. In den Wäldern bei
Teichdorf hatte sie es schon einmal gesehen.
    »Die Wette verlierst
du!«, hallte eine Stimme hart über den Lagerplatz hinweg.
    Nicht das Eisen, sondern
diese Stimme war es, die Bernina ihrerseits zum Erstarren brachte. Ihr Atem
setzte aus, ihr Blick suchte den Mann, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war.
Seine Gestalt schob sich breitschultrig zwischen den angeleinten Pferden
hindurch, nicht einmal weit von Bernina entfernt, die er nicht beachtete. Sein
linkes Auge wurde von einer Klappe bedeckt. Ohne jegliche Hast durchschritt er
einen jener Kreise aus Soldaten, die auf dem Boden hockten und zu ihm
aufstarrten, im Blick seines rechten Auges der Mann an der Erle, den er sogar
noch um einen halben Kopf überragte.
    »Denn ich bin alles
andere als ein Geist«, rief er und blieb vor dem Soldaten stehen. »Ich bin aus
Fleisch und Blut.« Mit raschem Griff riss er seine Wolfsangel aus dem Baum und
der Hut fiel auf die Schulter des Soldaten, dann auf die Erde. Das blitzende
Eisen noch in der Hand, drehte sich der so überraschend aufgetauchte Mann
wieder zu allen anderen herum.
    »Ich wollte schon
wesentlich früher zu euch stoßen, aber eine Verletzung hat mich länger in einer
Stadt namens Ippenheim aufgehalten. Und ich kann durchaus verstehen, dass ihr
mehr erfahren wollt. Vor allem, wenn es um eure Bezahlung geht.« Mit gelassenem
Spott grinste er in die große Runde erwartungsvoller Männergesichter. »Falls
alles so läuft, wie wir uns das vorstellen, der überaus fähige Feldwebel
Meissner und ich, dann werden wir mit Rosen entlohnt.« Er genoss sichtlich die
Überraschung, die

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