Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
euch zu warten. Und ihr solltet auch besser nichts Unanständiges in dieser winzig kleinen Duschkabine anstellen.« Letzteres klang jedoch mehr hoffnungsvoll als streng.
»Wie bist du überhaupt in mein Zimmer gekommen, du Voyeurin?« Mit tödlicher Zielgenauigkeit schleuderte Joie einen nassen Waschlappen nach ihrer Schwester.
Gabrielle kreischte auf, als der Lappen sie mitten im Gesicht traf. »Deine schlechten Angewohnheiten färben auf mich ab, und ich wollte bloß ein bisschen damit angeben«, erwiderte sie nicht ohne Spott. »Du bist nicht die Einzige, die ein Schloss knacken kann. Außerdem meinte Jubal, ich würde mich nicht trauen. Was blieb mir denn anderes übrig?«
»Du hättest dir zumindest den Anschein geben können, diskret zu sein, während ich mit einem Mann beschäftigt bin. Mensch, Gabby, er wird uns noch für einen Haufen Perverse halten. Du musst nicht alle kindischen Herausforderungen Jubals annehmen.«
»Das tust du doch auch«, gab Gabrielle ganz und gar nicht reumütig zurück.
»Er will damit nur Mom verrückt machen«, sagte Joie.
»Bist du allein da drin? Ich frage nur, weil ich keine nackten Körper sehen will.«
Joie rümpfte die Nase. »Und warum stehst du dann da und versuchst, durch den Wasserdampf zu linsen? Ich bin nackt, falls es dich interessiert, aber Traian ist schon zu den Höhlen zurückgekehrt.«
Gabrielle seufzte. »Dich habe ich schon nackt gesehen, und das war nicht besonders aufregend, aber dieser Mann, den du dir geangelt hast, ist einfach umwerfend. Ich weiß nicht, was ich von der Sache mit den Karpatianern halten soll. Er hält sich so gern unter der Erde auf, dass er auch durchaus ein Troll sein könnte. Was willst du eigentlich Mom und Dad erzählen?« Diesmal lag unverhohlene Schadenfreude in Gabrielles Stimme.
»Ich habe schon geübt«, gab Joie zu, als sie, in ein Badetuch gehüllt, aus der Duschkabine kam. »Und dann beschlossen, dass es das Beste ist, sie anzulügen. Komisch, doch ich dachte immer, du zögst hagere, asketische Wissenschaftlertypen vor. Und glaub ja nicht, dass ich nicht gesehen habe, wie du Gary gestern Abend angegafft hast.«
»Ich gaffe nicht.« Gabrielle rümpfte empört die Nase. »Nie. Ich fand ihn nur ganz süß. Und du hast nicht genau genug hingesehen, meine Liebe. Gary ist nicht dünn, er hat jede Menge Muskeln, sie stehen eben nur nicht überall hervor, wie ich es hasse.« Sie seufzte schwer und runzelte die Stirn. »Ich wünschte, ich wäre eines dieser schönen, spindeldürren Models, in die alle Männer sich vergucken. Aber selbst wenn ich mir die Haare blond färben und lernen würde, sie gekonnt über die Schulter zu werfen, würde ich die Kunst des Flirtens wahrscheinlich trotzdem nie beherrschen.«
Joie warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. »Du bist schön, du dummes Ding. Dein Problem ist nur, dass du verrückt bist. Und falls dieser Mann deinen Wert nicht erkennen kann, ist er nicht so klug, wie du zu glauben scheinst.«
»Ja, ja, bei mir dreht sich alles nur ums Köpfchen, und Gary wird wahnsinnig fasziniert sein von meinem Intellekt und hin und weg von meinem kuscheligen Körper.« Gabrielle verzog das Gesicht und versuchte zu lachen, aber sie sah so aus, als wäre sie den Tränen nahe.
»Was ist denn in dich gefahren, Gabby?«, fragte Joie und trat näher zu ihrer Schwester, die sie bisher nur selten so bedrückt gesehen hatte.
»Ach, es ist nur so, dass ich es jedes Mal vermassele, wenn ich mich wirklich mal zu einem Mann hingezogen fühle. Und das kommt nicht sehr oft vor. Mit den meisten langweile ich mich zu Tode und halte ihre Gesellschaft keine fünf Minuten aus. Doch wenn mal jemand auftaucht, der vernünftig ist, über Themen reden kann, die mich wirklich interessieren, und ich ihn auch noch körperlich attraktiv finde, stehe ich da wie ein Idiot – oder neben dir und Jubal wie die Jungfrau in Nöten, die gerettet werden muss.« Trotzig schob sie das Kinn vor. »Und das bin ich nicht, das weißt du.«
»Natürlich weiß ich das, Gabrielle. Du vergisst, dass Jubal und ich mit dir bergsteigen und in Höhlen gehen. Wir sind mit dir den Amazonas hinuntergefahren und im Regenwald gewesen. Es gibt nichts, was dich erschrecken kann.«
»In der Eishöhle schon.«
»Tja, dann habe ich Neuigkeiten für dich, Schwesterherz. Denkst du etwa, ich hätte mich nicht gefürchtet? Wer es an diesem Ort nicht mit der Angst zu tun bekommt, ist selbstmörderisch und nicht ganz bei Sinnen.«
»Wirklich?«, fragte
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