Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
sie töten würde – und nicht nur sie, sondern auch alle anderen im Zimmer.
Mit ihrer ganzen Willenskraft versuchte sie, ihr Bewusstsein vor ihm zu verschließen, statt seine sanfte Stimme zu ihr vordringen und Macht über sie gewinnen zu lassen. »Du bist Valenteen«, sagte sie. »Ein Meistervampir, der nicht seinesgleichen hat. Und deshalb wüsste ich zu gern, warum du die Anordnungen jenes anderen befolgst, der sich hinter deiner Kraft verbirgt.«
Die einzige Waffe, die ihr blieb, war, dem Ego des Vampirs zu schmeicheln – ihn hinzuhalten in der Hoffnung, dass Traian kommen würde, bevor Valenteen sie zu sich herauslocken konnte. »Es ist doch klar, dass du viel mächtiger bist. Warum dienst du also einer solchen Kreatur?« Sie zwang sich, Interesse und Bewunderung in ihren Ton zu legen. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass ein Mann wie du jemanden wie ihn braucht.«
Valenteen kräuselte die Lippen, sodass sein schwarz verfärbtes Zahnfleisch sichtbar wurde. »Ich lasse ihn glauben , dass er mich beherrscht, weil es von Vorteil für mich ist, mich seinen Plänen anzuschließen. Wir suchen beide das Gleiche. Falls er es findet, werde ich es ihm wegnehmen.«
Joie fühlte sich gezwungen, einen kleinen Schritt nach dem anderen vorzutreten. Sie rang mit sich, um stehen zu bleiben, und streckte hilfesuchend eine Hand nach Jubal aus. Trotz des Gewichts der Fledermäuse kroch ihr Bruder zu ihr, indem er sich mit Ellbogen und Zehen über den Boden schob, bis seine Finger Joies erreichten, während Gary auch weiterhin die Fledermäuse von Jubals Körper vertrieb. Ohne Zögern ergriff er die Hand seiner Schwester.
»Natürlich wirst du dir nehmen, was immer auch ihr beide suchen mögt. Der andere ist ein Narr, wenn er glaubt, er könnte dich mit so wenig Respekt behandeln. Ich war schon überall auf dieser Welt und bin noch nie einem so mächtigen Mann wie dir begegnet.« Joie versuchte, ihrer Stimme einen flirtenden Tonfall zu verleihen, doch so weit reichten ihre Schauspielkünste nicht. »Du könntest der Anführer sein, und alle würden von deinem Wissen profitieren.«
Trotz Jubals zupackender Hand wurde Joie einen weiteren Schritt nach vorn gezogen. Allmählich kam sie sich wie eine Marionette vor. Obwohl Jubal mit aller Kraft versuchte, sie zurückzuhalten, konnte sie ihren Körper nicht daran hindern, auf die winkende Hand zuzugehen.
Gary warf die Hände hoch, um sie aufzuhalten. »Verlass diesen Ort!«, befahl er dem Vampir.
Valenteen blies Gary eine Wolke seines fauligen Atems ins Gesicht, worauf der junge Mann ins Taumeln geriet, sich an die Kehle griff und auf eines seiner Knie sank. Sofort fielen die Fledermäuse auch über ihn her und bissen mit ihren scharfen Zähnen zu.
Ohne die anderen im Zimmer zu beachten, als wäre nichts geschehen und sein Gespräch mit Joie nie unterbrochen worden, nickte Valenteen. »Es stimmt, dass ich viel Erfahrung und hervorragende Führungseigenschaften habe. Vielleicht ist es gar nicht mal die beste Lösung, dich zu töten. Dich auf meine Seite zu bringen würde uns beiden womöglich sogar besser dienen.«
Jubal ließ Joies Hand los, packte sie um die Taille und hob sie von der Schwelle weg, während er gleichzeitig versuchte, die Magierwaffe auf den Meistervampir zu lenken. Sofort ballte der Vampir die Hand zur Faust und starrte Jubals Hals an. Joies Bruder ging hustend, keuchend und nach Atem ringend zu Boden. Sofort umschwärmten ihn wieder die Insekten, verstopften ihm die Kehle und attackierten sein ungeschütztes Gesicht. Die Waffe kehrte zu Jubal zurück und versuchte offensichtlich, ihn sogar ohne seine geistige Führung vor den Fledermäusen und Stechmücken zu beschützen.
Obwohl er noch immer gegen die Fledermäuse ankämpfte, unternahm Gary den Versuch, sich zu erheben, und streckte die Hand nach Joie aus. Doch sie schüttelte den Kopf und trat mit voller Absicht auf den Gang hinaus.
»Hilf Jubal«, bat sie Gary und gab vor, völlig unter dem Bann des Vampirs zu stehen. Traian war in der Nähe. Er war bei ihr, rührte sich in ihrem Geist und gab ihr Kraft. Der Vampir glaubte, dass er sie nach wie vor durch psychischen Zwang dazu brachte, seine Anordnungen zu befolgen, doch mit Traians Hilfe bewegte sie sich jetzt aus eigenem Antrieb. Sie blickte nicht hinter sich, um zu sehen, ob Gary die Fledermäuse vertreiben konnte. Sie musste sich einfach darauf verlassen, dass es ihm gelang. Instinktiv wusste sie, dass es für alle besser war, wenn die
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