Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
Verhalten festgestellt. Normalerweise wären sie mir aus dem Weg gegangen, doch heute treiben sie sich in Rudeln herum, während sie früher immer allein unterwegs waren oder die jüngeren Vampire höchstens mal von einem Meistervampir als Kanonenfutter für seine Kämpfe benutzt wurden. In letzter Zeit jedoch scheinen sie kontrollierter und sehr viel besser organisiert zu sein. Zwei Meister zu finden, die einem dritten dienen und ihm zudem noch ihre eigenen Anhänger bringen, ist ein noch nie da gewesenes Phänomen, das untersucht werden muss.«
Jubal fuhr sich nervös mit der Hand durchs Haar. »Mir ist, als würde ich allmählich den Verstand verlieren. Vampire sind Hollywood-Erfindungen, die nur in Filmen vorkommen.«
Traian ignorierte Jubals Einwand. »Sie sind unter anderem auch Gestaltwandler, sodass ihr euch also sehr gut überlegen müsst, was oder wem ihr traut.«
Neben dem Tröpfeln des Wassers konnte Joie jetzt noch ein anderes Geräusch wahrnehmen. Es hörte sich an wie das Klappern von Ästen oder Zweigen, die im Wind zusammenschlugen. Diese unerklärlichen Laute machten sie nervös. Vampire waren eine Sache, aber Gestaltwandler? Sie wechselte einen weiteren Blick mit ihren Geschwistern und verwarf die Vorstellung dann genauso schnell wie sie.
Nichts warnte sie vor dem, was kam. In einem Moment stand Traian noch im Schein ihrer Helmlampen da, im nächsten hockte ein großer schwarzer Wolf mit einem Maul voller scharfer Zähne an seiner Stelle und richtete drohend den Blick auf Jubal. Gabrielle schrie auf und stolperte zurück. Jubal griff nach ihr und zog sie in die verhältnismäßige Sicherheit neben dem knurrenden Tier. Gleichzeitig öffnete er schnell den Reißverschluss an seiner Hosentasche, um seine Waffe herauszunehmen.
Obwohl Joies Herz schneller schlug und sie einen trockenen Mund bekam, legte sie dem Wolf einen Arm um den Nacken, um ihn zurückzuhalten. »Sehr beeindruckend, Traian, aber nichts, was ich nach Hause mitnehmen würde.« Ihr Herz pochte so laut, dass es in ihren Ohren dröhnte. Sie hatte an Traian gezweifelt, und er hatte sich verwandelt, um ihnen zu demonstrieren, wie überaus gefährlich und raffiniert Vampire waren. Joies Beine zitterten und fühlten sich wie Gummi an.
Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich würde dir niemals etwas zuleide tun.
»Warum sollte ich Angst vor dir haben? Ich habe dich unter Kontrolle«, versetzte Joie.
Weil du mir ein Messer an die Kehle hältst, glaubst du? , erwiderte Traian so beiläufig und mit einem Anflug von Belustigung in der Stimme, als machte die Klinge an seinem Hals nicht den kleinsten Unterschied für ihn.
Und das beängstigte sie noch mehr als die Tatsache, dass er sich von einer Sekunde auf die andere in ein Raubtier verwandelt hatte. Sie blickte auf ihren Arm herab, der um seinen Nacken lag. Das glänzende Fell des Wolfs war so dicht und üppig, dass ihr Arm darin beinahe verschwand. Doch sie konnte den Griff des Messers in ihrer Hand spüren und zog die Klinge langsam wieder von seinem Hals zurück. »Ich wollte nur sichergehen, dass du achtgabst«, sagte sie, als sie das Messer in die Scheide zurückschob.
Im Bruchteil von Sekunden nahm Traian wieder seine normale Gestalt an. »Wie viele Waffen trägst du sonst noch an dir? Du scheinst ja ein wandelndes Waffenarsenal zu sein.«
»Das ist verrückt«, murmelte Jubal. »Cool, aber verrückt.«
»Ich glaube, wir sind einfach nur einer Massenhalluzination erlegen«, meinte Gabrielle. »Können wir nicht einfach von hier verschwinden? Joie, such uns einen Weg hinaus!«
»Das versuchen wir ja, Gabby«, versicherte sie ihr. »Doch dieses Klappern macht mich ganz verrückt. Mir gefällt der Rhythmus nicht; er hat nichts Natürliches.« Auch das tropfende Geräusch des Wassers war noch aufdringlicher geworden. Joie warf Traian einen besorgten Blick zu. Irgendetwas stimmte hier nicht, das wusste er ebenso gut wie sie. Als sie Jubal ansah, merkte sie, dass auch er es spürte.
»Ich werde die beiden hinüberbringen und zurückkommen, um dich zu holen«, sagte Traian zu Joie. »Jubal kann deine Schwester drüben beschützen, während ich mit dir den Abgrund überquere.« Es wäre sinnlos zu versuchen, seine Seelengefährtin als Erste zur anderen Seite hinüberzubringen. Sie würde nicht ohne die anderen gehen, und er wollte keine Zeit mit Streitereien vergeuden.
»Du brauchst mehr Blut, sonst schaffst du das nicht«, wandte Jubal ein. »Du bist so blass, dass du schon
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