Die Sehnsucht der Pianistin
du völlig recht. Schade ist es nur, weil es mich daran erinnert, wie verrückt ich nach dir war. Und warum.“
Mit gemischten Gefühlen sah er sie die Treppe hinaufgehen. „Vielen Dank“, murmelte er vor sich hin. „Genau das brauchte ich, um mit Sicherheit heute Nacht kein Auge zuzutun.“
Vanessa lag in Bradys Bett, eingewickelt in Bradys Laken. Der Hund hatte sich am Fußende zum Schlafen eingerollt. Sie hörte sein leises Schnarchen, während sie ins Dunkel starrte.
Wäre sie tatsächlich mit Brady ins Bett gegangen? Ein Teil von ihr sehnte sich danach. Der Teil, der all die Jahre darauf gewartet hatte, wieder so zu empfinden, wie nur er sie empfinden ließ.
Und dennoch, als sie sich ihm vorhin angeboten hatte, war es leichtfertig, unbesonnen und im Grunde gegen ihre eigene Überzeugung geschehen.
Vor ein paar Stunden war sie wütend und verletzt vor ihm geflohen, weil er mit ihr schlafen wollte. Wieso war sie in ihrer innerlichen Zerrissenheit jetzt zu ihm zurückgekommen und hatte haargenau das Gleiche von ihm verlangt?
Es ergab überhaupt keinen Sinn.
Ruhelos wälzte sie sich im Bett hin und her. Er hatte sie schon immer verwirrt. Schon früher hatte bei ihm ihr gesunder Menschenverstand versagt. Nun lag sie allein und frustriert in seinem Bett und versuchte zu schlafen, aber im Grunde war sie ihm dankbar dafür, dass er sie besser verstand als sie sich selbst.
In all den Jahren, die sie fort gewesen war, und in all den Städten, die sie bereist hatte, war es keinem Mann gelungen, die Schranken niederzureißen, hinter denen sie ihre Gefühle verbarg.
Nur Brady. Aber was, in aller Welt, sollte sie nun machen?
Wenn sie die Dinge so beließ, wie sie jetzt waren, dann würde sie Hyattown vermutlich ohne Schmerzen wieder verlassen können, wenn die Zeit gekommen war. Wenn er für sie nur ein Freund war – ein zugegeben zeitweise etwas enervierender Freund –, konnte sie ihre Karriere wieder aufnehmen, sobald sie dazu bereit war. Aber wenn er ihr Liebhaber wurde, ihr erster und einziger Liebhaber, würde die Erinnerung daran sie vielleicht ihr ganzes Leben lang verfolgen.
Und dann war da noch etwas. Sie wollte ihm nicht wehtun. Auch wenn er sie manchmal wütend machte oder gar verletzte, sie wollte ihm keinen Schmerz zufügen.
Sie wusste, wie es war, mit einem solchen Schmerz zu leben. Mit einem Schmerz, der an einem fraß und nagte, weil man wusste, dass man nicht geliebt wurde.
Sie wollte Brady nicht antun, was man ihr angetan hatte.
Es war freundlich von ihm gewesen, ihr in seinem Hause für ein paar Stunden Asyl zu gewähren. Diese Freundlichkeit wollte sie ihrerseits damit vergelten, den gebotenen Abstand zu wahren.
Nein, dachte sie grimmig. Sie würde nicht seine Geliebte werden. Oder die Geliebte eines anderen Mannes. Sie hatte das Beispiel ihrer Mutter vor Augen. Als ihre Mutter sich einen Liebhaber nahm, hatte sie drei Leben ruiniert. Vanessa wusste, dass ihr Vater nie glücklich gewesen war. Ehrgeizig, ja. Besessen von der Karriere seiner Tochter. Und bitter. Oh, wie verbittert war er gewesen. Er hatte seiner Frau nie verziehen. Warum sonst hätte er die Briefe unterschlagen sollen, die sie an ihre Tochter geschickt hatte? Warum sonst hatte er niemals wieder ihren Namen ausgesprochen?
Vanessa spürte das Brennen in ihrem Magen und rollte sich fest zusammen. Irgendwie musste sie damit fertigwerden, was ihre Mutter getan und was sie nicht getan hatte.
Sie schloss die Augen und lauschte auf den Ruf einer Eule im Wald und auf das entfernte Donnergrollen in den Bergen.
Sie erwachte im Morgengrauen vom Regen, der auf das Dach prasselte. Es war wie eine monotone Melodie. Obwohl sie sich müde und zerschlagen fühlte, setzte sie sich im Bett auf, umschlang die Knie mit den Armen und blinzelte ins Dämmerlicht.
Der Hund war fort, aber die Stelle am Fußende war noch warm von seinem Körper. Für sie wurde es nun auch Zeit zu gehen.
Die große Wanne war eine Versuchung, aber Vanessa widerstand ihr und begnügte sich mit einer Dusche. Zehn Minuten später ging sie leise nach unten.
Brady lag in seinem zerwühlten Schlafsack flach auf dem Bauch, das Gesicht in ein lächerlich kleines Kissen gedrückt. Sein Hund saß geduldig neben ihm. Die beiden gaben ein Bild ab, das Vanessas Herz zum Schmelzen brachte.
Kong wedelte freundlich mit dem Schwanz, und sie legte warnend den Finger an die Lippen. Aber Kong verstand sich offenbar nicht auf Zeichensprache, denn er bellte fröhlich auf und leckte
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