Die Sehnsucht der Smaragdlilie
eine Hilfe sein, aber auch bei seinem geheimen Auftrag. Er sollte nämlich nicht nur Doña Elena und ihren neuen Gatten beschützen, er sollte auch die Interessen des Zars von Russland im Auge haben. Zar Wassili III. hatte mit seinen neuen Handelsplänen im Osten viel Erfolg gehabt und wollte sie nun auch auf den Westen ausdehnen.
Es würde nicht einfach sein, Frankreich, Spanien, England, Venedig und Russland gleichzeitig zufriedenzustellen. Doch es war auch aufregend. Eine Maske zu tragen, war seine Lebensaufgabe. Es gab keinen, der darin besser war als er. Und wenn alles gut ging, würde es auch seine letzte gefährliche Mission sein.
Nikolai griff nach der Scheide an seiner Hüfte, zog einen Dolch hervor und balancierte ihn auf seiner behandschuhten Hand. Der Smaragd im Griff schimmerte im fahlen Licht, glühte wie eine stille Drohung – ein Versprechen, das noch eingelöst werden musste.
Er warf ihn leicht in die Luft und fing ihn so auf, dass die winzige Lilie zu erkennen war, die in den fein geschmiedeten Stahl geritzt war. Als Erinnerung daran, dass er einst die „Smaragdlilie“ getroffen hatte, die schattengleiche, in ganz Europa gefürchtete französische Mörderin, trug er den Dolch immer bei sich. Dass er sie getroffen – und sie reingelegt hatte, wenn auch mehr durch Glück als durch irgendeine besondere Geschicklichkeit seinerseits.
Noch nie hatte er mit irgendjemandem über diese Nacht in dem venezianischen Bordell gesprochen – noch nicht einmal mit Marcos und Julietta. Zum einen, weil er, abgesehen von dem Dolch, sich nicht sicher sein konnte, dass es kein Traum gewesen war. Zum anderen, weil er nicht gegen die Macht ankam, die jene Augen, so grün wie dieser Smaragd, vom ersten Augenblick an über ihn besaßen, als er sie durch den Rauch und den Dunst des Hurenhauses erblickt hatte.
Sie war wirklich schön gewesen mit ihrem silbrig hellen Haar, schön wie ein Engel oder eine Fee. Doch das Verlockende an ihr in dieser Nacht war noch etwas ganz anderes gewesen als purer Liebreiz. Den besaßen tausend andere Frauen auch. Es waren diese Augen gewesen. So hart, so kalt, doch mit einem darunterliegenden Funkeln, das ihn verzaubert hatte.
Sie leben zu lassen, war dumm von ihm gewesen. Erbarmen zu zeigen, sah ihm eigentlich nicht ähnlich. Sie hätte es ihm gegenüber auch nie gezeigt. Die „Smaragdlilie“ galt als umbarmherzig. Sicher hatte sie es ihm übel genommen, dass er sie zum Narren gehalten hatte. Eines Tages würde sie ihn wieder verfolgen, wahrscheinlich gerade dann, wenn er es am wenigsten erwartete.
Vielleicht hatte das ihn bewogen, sie gefesselt auf dem zerwühlten Bett liegen zu lassen. Das Wissen, dass sie sich eines Tages wiederbegegnen würden. Schließlich würde sie ihren Dolch zurückhaben wollen.
Das Ärgerliche daran war nur, dass nach einem weiteren Zusammentreffen einer von ihnen oder alle beide in einem Grab vermodern würden.
Erneut warf Nikolai den Dolch in die Luft und fing ihn mit einer leichten Drehung seiner Fingerspitzen wieder auf. Bis zu jenem schicksalhaften Tag hatte er Besseres zu tun gehabt, als sich über schöne, grünäugige Mörderinnen den Kopf zu zerbrechen.
Und gerade marschierte sein größtes Kümmernis auf ihn zu.
Doña Elena tauchte an Deck auf, gefolgt von zwei ihrer Damen, die sich von ihrer mal de mer erholt hatten. Mit ihrem zurückgekämmten, dunkelbraunen, nur mit wenigen silbernen Strähnen durchzogenen Haar, auf dem eine mit Perlen umsäumte Haube aus dünnem Stoff saß, und dem Kreuz aus Granatsteinen an ihrem Hals ähnelte sie einer frommen spanischen Matrone. Ein schwarzer Mantel bedeckte ihr dunkelrotes Kleid und schützte sie vor dem rauen Wind. In ihrer behandschuhten Hand hielt sie ein Gebetbuch mit Goldschnitt. Doch aus den sanften braunen Augen sprach eine Zielstrebigkeit, die ihresgleichen suchte.
Ihr Sohn Marcos hatte seine Entschlossenheit gewiss von ihr geerbt. Die Familie Velazquez bekam immer ihren Willen.
„Ah, Nikolai, da seid Ihr!“, rief sie und stellte sich neben ihn an die Reling. „Der Kapitän sagt, wir würden heute sicher Land erreichen.“
Nikolai deutete zum Horizont, wo in diesem Moment hoch aufragende nackte Klippen im Dunst auftauchten. „Jeden Augenblick, Doña Elena.“
„Gott sei Dank.“ Sie bekreuzigte sich rasch. „Diese Reise war nicht sehr erfreulich.“
„Es ist selten ein guter Einfall, mitten im Winter in See zu stechen.“
Elena seufzte. „Besonders für so eine Person wie
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