Die Sehnsucht der Smaragdlilie
kleinen Seitenhieb. Als Marguerite die Hand vor den Mund presste, um ihr Lachen zu unterdrücken, bemerkte sie, dass Pater Pierre sie mit einem missbilligenden Ausdruck auf seinem schmalen, blassen Gesicht beobachtete.
Sie wandte sich entschlossen von ihm ab und entschied, dass sein Starren sie heute nicht beunruhigen sollte.
„Wie ich hörte, soll den Spaniern nicht viel an solch weltlichem Tun liegen“, flüsterte sie. „Aber ist Eure eigene Königin nicht Spanierin? Wie denkt sie über das Tanzen?“
Tilney zuckte die Achseln. „Gewöhnlich ist Königin Katharina guter Laune. Sie ist höchst nachsichtig und für ihr heiteres Lächeln und ihr ausgeglichenes Wesen berühmt. Sie mag nicht gern selbst tanzen, doch sie ist eine großzügige Gastgeberin.“
„Gewöhnlich?“
Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schien sich dann aber eines Besseren zu besinnen. Stattdessen lächelte er und deutete zum Ufer hin. „Seht dort, Madame. Euer erster Blick auf den Palast von Greenwich.“
Während die Barke beim Näherkommen langsamer wurde, betrachtete Marguerite das Gebäude. Greenwich war nicht so hell und anmutig, wie die Pläne von François es für Fontainebleau vorsahen. Es war niedrig und lang gestreckt und auf seine eigene Art prunkvoll.
Das steile Dach war so grau wie der Himmel über ihm und verschwamm hinter den Rauchfahnen, die sich aus seinen zahlreichen Kaminen kringelten. Die Wände aber waren im alten burgundischen Stil mit roten Ziegelsteinen verkleidet.
Es gab keinen Burggraben oder Befestigungen. Das wäre selbst für England zu altmodisch gewesen. Stattdessen richteten sich schmale Fenster auf den Fluss, die wie tausend Augen glitzerten.
„Es ist sehr hübsch“, sagte Marguerite. „Der richtige Ort für Vergnügungen, würde ich sagen.“
„Es ist um drei Innenhöfe herumgebaut“, erklärte Tilney. „Sie taugen ausgezeichnet für Spiele mit Kugeln. Und es gibt Turnierplätze und ein Ballhaus für Tennis.“
Marguerite lachte. „Es hört sich wirklich wie ein fröhlicher Ort an. Tanzen, Kugelschieben, Musik …“
„Ah, Madame, ich fürchte, jetzt glaubt Ihr, wir wären nichts als leichtfertig! Schaut her, die Kirche der Ordensbrüder vom Heiligen Franziskus. Die Königin ist ihre Schirmherrin. Sie sind immer dort, um uns an ein höheres Ziel zu erinnern.“
„Und Euch sofort die Beichte abzunehmen, sollte es nötig sein?“
„Das auch.“ Als die Barke anlegte, wurde Tilney zu den englischen Höflingen gerufen, und Marguerite ging, um zu sehen, ob die Comtesse de Calonne ihre Hilfe benötigte. Die junge Comtesse war schwanger, und in ihrem Zustand war so eine Reise nicht gerade bequem. Sie ertrug alles ganz gut. Ihr Gesicht war so blass, dass die goldenen Sommersprossen besonders stark zur Geltung kamen. Die meiste Zeit hielt sie die Augen geschlossen und lauschte einer ihrer Begleiterinnen, die ihr laut Gedichte vorlas, während eine andere ihr die Schläfen mit Lavendelöl massierte. Sie brauchte – oder wollte – Marguerites Hilfe nicht oft.
Gerüchte über die vielen Affären ihres hübschen Gatten tragen sicher auch nicht dazu bei, ihre Stimmung zu heben, dachte Marguerite. Der Comte und die Comtesse waren Cousin und Cousine und sehr jung miteinander verheiratet worden. Aber man sagte, dass Claudine für ihren Gatten mehr empfände als er für sie.
„Wir sind angekommen, Madame la Comtesse“, sagte Marguerite und kniete sich neben Claudine, um ihr zu helfen, ihre Handschuhe einzusammeln und ihren Mantel und den Kopfputz zu richten. „Bald werdet Ihr gemütlich in Eurem eigenen warmen Federbett liegen, mit einem warmen Feuer und einem Becher Gewürzwein.“
Claudine lächelte verkrampft. „Eher wird man uns mit zehn anderen Leuten zusammenpferchen und uns nur Bier anbieten! Diese Engländer – pah! Sie verstehen nichts von wahrer Gastfreundschaft.“
„Dann müssen wir sie die Gastfreundschaft lehren, Madame!“ Marguerite nickte einer von Claudines Zofen zu. Sie nahmen die Comtesse zwischen sich und halfen ihr auf die Füße, damit sie gemeinsam mit ihrem Gatten das Festland betreten konnte. „Wir werden ein gutes französisches Beispiel geben.“
„Wenigstens schicken sie uns einen Kardinal zur Begrüßung“, meinte Claudine und deutete auf einen Mann in Scharlachrot, der sie offenbar erwartete. Er war von so vielen Begleitern in Schwarz umringt, dass es aussah, als würde ihn ein Schwarm Krähen umflattern. „Nicht irgendeinen einfachen
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