Die Sehnsucht der Smaragdlilie
sie es kaum spürte. Aber eine fast überwältigende Woge von Traurigkeit stieg in ihr auf. „Du solltest Señorita Alva heiraten, sie auf deinen italienischen Bauernhof mitnehmen und eine große Schar reizender Kinder mit ihr haben.“
Nikolai lachte. „Ich bezweifle, dass Señorita Alva Gefallen am ländlichen Leben fern vom spanischen Hof finden würde. Und ich bin sicher, dass sie nichts vom Weinanbau versteht.“
„Aber sie würde schöne Kinder bekommen.“
Nachdem er mit dem Verband fertig war, rutschte er auf dem Bett höher, um Marguerite in den Arm zu nehmen. Sie barg das Gesicht an seiner Schulter und hielt ihn fest. „Für eine junge Dame wie sie wäre ich genau der falsche Ehemann. Wir würden uns überhaupt nicht verstehen.“
Er richtete sich auf und blickte ihr geradewegs in die Augen. Und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte Marguerite, dass jemand sie wirklich sah. Dass dieser Jemand ihr wahres Wesen erkannte und sie – trotz aller Sünden, Schwächen und Fehler – verstand.
Diesen Moment, in dem er nicht nur ihre Schönheit und ihr wenig tugendhaftes Leben sah, sondern auch ihre Ängste, Wünsche und Träume, würde sie niemals vergessen. Er war ihr wertvoller als jeder Edelstein dieser Welt. Das war mehr, als sie je zuvor besessen hatte.
Es war alles.
„Und ihr Haarschmuck! Schon seit fünf Jahren aus der Mode, ich schwöre es“, schnatterte Señorita Alva. „Ich wünschte, Ihr hättet dabei sein können, Señorita Dumas.“
„Lady Monteath sah sehr hübsch aus, Maria-Carolina“, schalt Doña Elena freundlich. Die beiden Damen waren gekommen, um Marguerite beim Besticken der Fahnen zu helfen und ihr Gesellschaft zu leisten, während Nikolai ins Theater aufgebrochen war, um zu arbeiten.
Oder um vor ihr fortzulaufen. Marguerite konnte nicht sagen, warum er in Wahrheit gegangen war.
Aber sie lächelte Doña Elena an und freute sich über das Gespräch, über die Zerstreuung, die die Neuigkeiten aus der Welt des Hofes ihr boten, der Welt des Klatsches und der Mode. Die kurze Zeit, die sie in dieser kleinen Kammer verbrachte, hatte ausgereicht, diese vier Wände zu ihrem Zuhause zu machen. Sie würde diesen sicheren Hafen nicht mehr verlassen wollen, selbst wenn die Zeit dafür gekommen war, fürchtete sie.
Und sie fürchtete, dass sie Nikolai nie mehr würde verlassen wollen.
Sie beugte den Kopf über die Fahne, um zu verbergen, dass ihr die Röte in die Wangen gestiegen war. Sicher war sie seit ihrer Kindheit nicht mehr so oft errötet – sie hatte seither so viel gesehen, dass sie jetzt nichts mehr erschüttern konnte. Doch die Erinnerung an die mit Nikolai gewechselten Worte, die Art, wie er sie gehalten hatte, während sie um all das trauerte, was sie in ihrem Leben verloren hatte, ließ ihre Wangen flammend rot werden. Und weckte in ihr den Wunsch zu weinen.
All die Verzweiflung und all die Wut hatte sie über Jahre hinweg so fest unterdrückt und weggesperrt, bis sie selbst glaubte, dass sie nicht länger existierten, nicht länger von Bedeutung waren. Das hoffnungsfrohe junge Mädchen war tot gewesen, und es gab nur noch die „Smaragdlilie“. Doch mit einer Berührung, einem freundlichen Blick hatte Nikolai alles wieder zum Leben erweckt.
Es gab jemanden, der sie verstand. Jemanden, der mit ihr fühlte. Und das machte ihr mehr Angst als alles andere. Klingen und Pfeilen konnte sie sich stellen. Sie wusste aber nicht, ob sie jemanden besiegen konnte, der sie so sah, wie sie war, mit ihren Narben und ihrer Vergangenheit.
Und am Ende war sie sich nicht sicher, ob sie sich selbst würde besiegen können.
Also fuhr sie fort, die Finger flink über die Seide zu bewegen, einen Stich und noch einen zu tun, bis ein Herz Gestalt annahm. Ihre Gedanken wandten sich von Nikolai ab und dem Pfeil selbst zu. War es wirklich nur ein in einem unvorsichtigen Moment durch zu viel Wein und Vergnügen hervorgerufener Unfall gewesen? Marguerite glaubte das eher nicht. Sie und Nikolai waren zu tief im Wald gewesen, als dass jemand so einfach über sie hätte stolpern können.
Marguerite runzelte die Stirn, während sie die Fahne umdrehte, um ihre Stiche auf der Rückseite zu überprüfen. Es stimmte, schon zuvor hatten Feinde versucht, sie zu töten. Doch selten solche, die sich ihr überhaupt nicht zeigten. Wer hier wusste von dem wahren Grund ihres Aufenthaltes? Niemand, soweit sie es beurteilen konnte – zu allen Zeiten hatte König François ihre Identität geheim gehalten. Nur
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