Die Sehnsucht der Smaragdlilie
hin oder her. Ich wette, ich werde noch nicht einmal eine Narbe zurückbehalten.“
Nikolai betupfte die Wunde vorsichtig mit einem feuchten Tuch. „Keine wie jene auf deinem Bauch.“
Marguerite drückte den Stoff ihres hochgezogenen Hemdes gegen ihren Bauch. Nikolai hatte sie dort geküsst, sie gestreichelt, aber er hatte bis jetzt nichts über ihre Male gesagt. Sie hatte zu hoffen begonnen, dass er sie nicht bemerkt hatte. „Es sind alte Narben. Ich fiel vom Pferd, als ich zwölf war, und wurde geschlagen und getreten.“
Er streckte die Hand aus und löste langsam ihren Griff, sodass er das Hemd anheben konnte. Zart strich er über die welligen rosa Linien, als könnte er sie mit seiner Berührung zum Verschwinden bringen.
Langsam entspannte sie sich unter seinen Zärtlichkeiten und lehnte sich zurück. Seltsam distanziert blickte sie auf ihren verletzten Körper hinunter, so, als würden die Narben, die salzigen Tränen und die heiße Verzweiflung jemand anderem gehören. Jemandem, den sie nicht länger kannte.
„Es muss wehgetan haben“, sagte er leise mit starkem russischen Akzent.
„Als man mich nach Hause brachte, sagte der Arzt zu meinem Vater, dass ich den nächsten Tag sicher nicht erleben würde. Dass ich verbluten würde.“
„Wie dumm, dich und deine Dickköpfigkeit so zu unterschätzen.“
Marguerite lachte. „Wie gut du mich doch kennst, Nikolai. Ich ergebe mich nicht so schnell, noch nicht einmal dem Tod. Ich klammerte mich mit aller Kraft an mein Leben, krallte mich fest und kämpfte. Als ich wieder gesund war, eröffnete man mir, dass mein Bauch so voller Narben sei, dass ich niemals ein Kind haben würde. Nie das Leben einer richtigen Frau führen könnte.“
So. Zum ersten Mal hatte sie es laut ausgesprochen. Normalerweise wagte sie noch nicht einmal, daran zu denken. Trotz all der schrecklichen Dinge, die sie in ihrem Leben getan hatte, war es das hier, wofür sie sich am meisten schämte. Diese Geschichte, die sie zu einer Frau gemacht hatte, die niemals würde ein Kind kriegen können. Deshalb fühlte sie sich minderwertig.
Aber Nikolai wandte sich nicht voll Abscheu von ihr ab. Er hatte es noch nie getan, ganz gleich, was sie ihm erzählte oder was er von sich aus herausfand. Er blickte sie nur unverwandt an, die blauen Augen dunkel von aufsteigender Traurigkeit. Immer noch strich er mit seinen Händen behutsam über ihr Bein und verteilte den Kräuterbrei auf die Wunde. „Und glaubtest du den Ärzten? Da sie sich doch irrten, als sie dir den Tod voraussagten?“
Marguerite zuckte die Achseln. „Ich tat es nicht. Nicht zu Anfang. Aber ich bin nie schwanger geworden. Und meine monatliche Regel kommt völlig unregelmäßig und ist nie schmerzfrei.“ Sie legte die Hand auf die seine. „Wenn wir uns lieben, Nikolai, musst du dich nicht zurückziehen. Es besteht keine Gefahr, dass ich einen halb französischen Bastard in die Welt hinausschicke, damit er wie seine verfluchte Mutter wird.“
„Marguerite …“
„ Non , das ist schon alles richtig so, mon cher . Ich würde wahrhaftig eine schreckliche Mutter abgeben! Kannst du dir vorstellen, was für nutzlose Fertigkeiten ich einem Sohn oder – Gott behüte – einer Tochter beibringen könnte?“, sagte sie leicht dahin, obgleich ihr Herz schwer war. „Wie man kämpft, wie man tötet und lügt …“
„Marguerite.“ Er legte ihr die Hand auf den Mund und brachte sie zum Schweigen. „Du wärst eine wunderbare Mutter. Du würdest deine Kinder lehren, stark zu sein und ihnen beibringen, wie man der kalten Welt die Stirn bietet und überlebt, komme, was da wolle. Wie man Menschen als das erkennt, was sie sind.“
Sie schüttelte den Kopf. „Hast du zufällig ein Kind, Nikolai?“
Er lächelte sie an. „Nicht, dass ich wüsste.“
„Das ist sehr schade, denn du hättest einem Kind mehr zu geben als irgendjemand, den ich je getroffen habe. Ich sehe die Menschen wirklich, wie sie sind, doch ich sehe nur ihre Fehler. Du siehst auch ihre edlen Charakterzüge. Du glaubst an das Gute in ihnen, an die Macht der Freundschaft.“
„Wie könnte ich nicht? Ich war zu oft Zeuge von Freundschaft und Güte, um nicht daran zu glauben.“
„Und ich habe sie nie erlebt, außer bei dir. Kinder benötigen sicher diese Güte, diese Wärme, wie sie auch Waffen brauchen, um die grausamen Schlachten des Lebens zu schlagen.“ Schweigend schaute sie ihm zu, wie er einen sauberen Verband anlegte. Er tat es so leicht und sanft, dass
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