Die Sehnsucht des Dämons (German Edition)
Geräusch. Der Kobold stieß einen schrillen Schrei aus, wie ein Schwein, das geschlachtet wird. Seine Gedärme verschmierten die Scheibe.
Serena schaltete die Scheibenwischer ein, und der Koboldkadaver fiel auf die Straße. Die Blutspuren beeinträchtigten ihre Sicht, aber sie fuhr weiter, den Fuß aufs Gaspedal gedrückt.
Und die Dämonen hingen immer noch an ihrer Stoßstange. Serena umklammerte das Lenkrad und wartete auf den Blitz aus weißer Hitze, der den Tod ankündigte. Da war sie, die Angst, greifbar und real.
Es war nicht ihr ganzes Leben, das in Bildern an ihr vorbeizog, sondern nur ein paar Momente eines Abends, der sich vor knapp einem Jahr ereignet hatte. Sie sah den Unfall vor sich. Das verbogene Metall, die Funken aus einer herabfallenden Hochspannungsleitung. Die Straße glitschig vom Regen. Niemand hatte angehalten, also fuhr Serena rechts ran und lief durch den peitschenden Regen zu den beiden Autowracks. Eine Frau und ihre kleinen Töchter konnte sie ohne Schwierigkeiten befreien. Sie hatten nur Schürfwunden davongetragen, waren aber total verängstigt. Serena brachte sie zuerst in Sicherheit, setzte sie in ihren eigenen Wagen. Danach lief sie zu der Frau in dem anderen Fahrzeug.
Eine Vorahnung erfüllte sie, als sie vergeblich am Türgriff zerrte. Ihre Finger fanden keinen Halt auf dem feuchten Metall. Als die Tür schließlich aufging, sah die Fahrerin des Autos sie zugleich dankbar und entschuldigend an. In diesem Moment explodierte das Auto, und sie starben beide.
Seitdem wusste Serena, dass der Tod nichts war, vor dem man sich fürchten musste. Trotzdem wollte sie das alles nicht noch einmal erleben. Der Tod nervte.
Sie umklammerte das Steuer noch fester. Gleich würden die Dämonen sie von der Straße drängen. Das Auto würde explodieren. Doch nichts dergleichen geschah. Während sie die Straße entlangjagte, war ihr Blick stets auf den Rückspiegel gerichtet. Hoffentlich würde die Polizei sie nicht anhalten.
Plötzlich verschwanden die Dämonen so schnell, wie sie gekommen waren.
Serena bog vom Highway ab und fuhr so lange, bis sie ein Wohnviertel erreichte. Sie lenkte ihr Fahrzeug an den Straßenrand und hielt an. In den Häusern war es ruhig, die meisten Fenster waren dunkel. Die Menschen schliefen und träumten – in einer Welt, von der sie dachten, sie sei sicher. In einer Welt, deren wahre Natur sie niemals vermuten würden. Und das war auch besser so. Denn hätten die Menschen Kenntnis vom Ausmaß der unsichtbaren Schlachten zwischen Engeln und Dämonen, würden die meisten von ihnen vermutlich dem Wahnsinn anheimfallen.
Langsam normalisierte sich ihre Atmung wieder. Ihr Puls hörte auf zu rasen.
Doch ihre Brust schmerzte noch immer, als wollte sie implodieren. Eine einzelne Träne lief ihre Wange herunter, die sie mit dem Handrücken abwischte.
Nicht weinen. Nicht weinen.
Mit einem Kloß im Hals richtete sie den Blick auf den von Sternen gesprenkelten Nachthimmel. Ein Tumult aus Gefühlen strömte auf sie ein. Hoffnung für die junge Familie, die sie mit ihrem eigenen Tod gerettet hatte. Angst um Nicks Sicherheit. Verzweiflung über ihr Versagen ihm gegenüber.
Und noch etwas. Ein bisschen Sorge um sie selbst. Vielleicht sogar Wut. Eine innere Stimme flüsterte ihr zu, wie unfair es war, dass man sie ihrer eigenen Familie entrissen hatte, als sie selbst noch so jung war. Einer Familie, die schon unter dem Tod des Vaters gelitten hatte, der zehn Jahre zuvor einem Herzinfarkt erlegen war. Innerhalb von zehn Jahren war die Hälfte der Familie gestorben – jetzt waren nur ihre Mutter und ihr Bruder übrig und mussten mit ihrer Trauer leben lernen. In ihrer Brust schmerzte es, weil sie die beiden so sehr vermisste.
Das Leben, auch das als Engel, war manchmal einfach grausam. Und es gab Menschen – Dämonen – in dieser Welt, die alles noch schlimmer machen wollten. Serena schloss die Augen und wünschte, es hätte den heutigen Abend niemals gegeben. Sie wünschte, sie hätte Julian Ascher niemals kennengelernt. Und jemand Fähigeres wäre auserkoren worden, um Nick zu beschützen.
Wäre sie nur niemals gestorben, dachte Serena traurig.
Als sie die Augen wieder öffnete, hatte sich nichts geändert. Bedauern war ein unnützes Gefühl. Es ergab keinen Sinn, sich über Dinge zu beklagen, die man nicht ändern konnte.
Sie startete den Wagen und fuhr nach Hause.
Zwanzig Minuten später bog sie in Santa Monica in ihre Einfahrt. Sie schloss die Augen, lehnte sich einen
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