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Die Sehnsucht des Dämons (German Edition)

Die Sehnsucht des Dämons (German Edition)

Titel: Die Sehnsucht des Dämons (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Chong
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ihn seine Mutter nicht bei seinem Kindermädchen ab, wie sie es sonst jeden Morgen tat. Seine Mutter wäre krank, erklärte ihm das Kindermädchen, aber er solle sich keine Sorgen machen. Doch Julian war ein sensibles Kind und hörte dem Tonfall in der Stimme des Kindermädchens deutlich an, dass etwas nicht stimmte.
    Ohne an seine guten Manieren und die anerzogene Disziplin zu denken, rannte er dem Kindermädchen davon, den langen Gang entlang, der sich in dem Trakt des Gebäudes erstreckte, in dem sich die Wohnung seiner Mutter befand. Er platzte in ihr Schlafzimmer und blieb im selben Moment wie gebannt in der Tür stehen; plötzlich wagte er es nicht, sich der Herzogin zu nähern, die unter einem Berg von Decken in ihrem Bett lag. Der süßliche Geruch in dem Zimmer war anders als der frische Duft, den er mit seiner Mutter in Verbindung brachte.
    Vorsichtig ging er ein paar Schritte auf sie zu. „Mama?“
    Die Herzogin hob den Kopf, ihr bleiches Gesicht war von Fieber gezeichnet. „Mein Täubchen. Komm mir nicht zu nahe. Mama ist sehr krank.“ Mit rauer Stimme rief sie nach dem Kindermädchen, das inzwischen keuchend hinter ihm aufgetaucht war. „Bringen Sie ihn raus.“
    Er wurde aus dem Zimmer geführt, drehte sich aber noch einmal um und sah, wie seine Mutter sich mühsam aufsetzte. In ihren Augen erkannte er eine unendliche Traurigkeit, als sie ihm sagte: „Ich hab dich lieb, Julian.“
    Noch am selben Tag kam Julian zu seiner Tante, einer alten Jungfer, die am Rande des Anwesens in einer kleinen Hütte lebte. Tante Etheline ließ ihn auf dem harten, kalten Holzboden niederknien und beten. So verbrachten sie die Nacht, eine mittelalte Frau und ein kleiner Junge, die fieberhaft um die Rettung eines geliebten Menschen beteten. Doch ihre Gebete wurden nicht erhört. Ein paar Tage später trug der Tod über die Herzogin und Julians kleine Schwester den Sieg davon. Der Typhus hatte Julians Leben mit einem Schlag verändert.
    Von da an lebte er bei seiner Tante, und seine Tage waren geprägt von strenger Religiosität. Die Gutenachtgeschichten, die sie ihm erzählte, handelten immer von der Hölle, von den Feuergruben, in die die Sünder geworfen wurden, und von den Dämonen, die sich an den Eingeweiden der Toten labten. Natürlich hatte er als Kind deshalb regelmäßig Albträume. Seine Tante behauptete, Julian würde in das Fegefeuer gestoßen und müsste für alle Zeit brennen, wenn er sich nicht wie ein guter Christ benahm. Er dachte viel an seine Mutter und fragte sich, warum Gott ausgerechnet sie zu sich geholt hatte. Als er seiner Tante die Frage stellte, gab sie ihm eine schallende Ohrfeige und schickte ihn ohne Abendessen ins Bett.
    Der Herzog glich nach dem Tod seiner Frau einem wandelnden Leichnam. Sein Vater erschien Julian genauso tot und unerreichbar wie seine Mutter. Er besuchte das Herrenhaus nur an den Feiertagen und fand dann seinen Vater meistens betrunken vor, im Brandyrausch, und immer häufiger roch er auch nach dem aufdringlichen Parfüm von Huren.
    Julian war sich sicher, dass Gott ihn verlassen hatte. Für die nächsten zwölf Jahre lebte er in einer Art Hölle auf Erden. Er hatte keine Spielkameraden oder Freunde in seinem Alter, da er keine Schule besuchte, sondern von strengen Privatlehrern unterrichtet wurde. Als Kind war er immer brav gewesen, doch je älter er wurde, desto mehr rebellierte er. Er brauchte ein Ventil, um seine so lange unterdrückten Emotionen herauszulassen. Also begann er damit, seinen Lehrern Streiche zu spielen, seine Bücher zu zerstören und sich stundenlang vor seiner Tante im Wald zu verstecken. Er gehorchte seinem Reitlehrer nicht mehr und galoppierte einfach mit dem Pferd davon, um an den Außengrenzen des Anwesens allein sein zu können. Mit fünfzehn wollte er am liebsten dieses Leben hinter sich lassen und gehen, aber ein seltsames Pflichtgefühl seiner Familie und seiner Herkunft gegenüber hinderte ihn daran. Für jede seiner Ungehorsamkeiten wurde er mit einer Woche Stubenarrest bei Wasser und Brot bestraft. „Julian, du verhöhnst unseren Herrgott“, pflegte seine Tante immer zu sagen. „Mit jedem Tag kommst du der Hölle einen Schritt näher.“
    Da begann er, zu Satan zu beten. Eine Verbesserung seiner Verhältnisse ergab sich aber nicht. Doch dann geschah ein Wunder: Wenige Monate nach seinem siebzehnten Geburtstag starb seine Tante.
    Und kurze Zeit später schickte man ihn zum Studieren nach Oxford. Zum ersten Mal seit seiner Kindheit kam

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