Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
wollten.« Charles hatte in Südamerika, Westindien und an der afrikanischen Küste einige »Niederlassungen« aufgebaut, die seine Waren weiterverkauften und wo die gekaperten Schiffe umgerüstet und neu gestrichen wurden. Sobald das Handelsgut die letzten Käufer erreichte, war es so unschuldig sauber wie ein frisch gewaschenes Kinderhemd. Seit zwei Jahren hatten sie auch eine kleine, aber schlagkräftige Flotte im Mittelmeer. Die dort erbeuteten Waren – vornehmlich Spitzen, kostbares Glas und Felle – nahmen allerdings den Handelsweg über Land und wurden teuer – und legal – in Indien verkauft. Ein Geschäft, das zu den offiziellen Aktivitäten seines Unternehmens zählte.
Bisher war alles gut gelaufen. Er hatte sich in mancherlei Hinsicht abgesichert und gewisse Neuerungen eingeführt. Die Schiffe der East India Company waren von vornherein von allen piratischen Aktivitäten ausgenommen. Damit sicherte er sich und seinen Leuten zumindest in Ostindien den Hals, falls einer von ihnen gefasst wurde. Aufgebracht wurden lediglich Schiffe anderer Nationen, für die Charles sicherheitshalber auch Kaperbriefe besaß. Allerdings zog er diese nur hervor, wenn es absolut nötig war; sonst wurden die erbeuteten Waren und Schiffe nicht auf dem legalen Weg dem Prisengericht gemeldet, sondern in Eigenregie vermarktet. Charles und seine Leute verdienten hervorragend mit dem Verkauf der geraubten Güter, die er bis nach Südamerika und Europa verschiffte.
Trotzdem wäre es lästig, wenn Harriet Dorley alles von ihm erfuhr. Vor allem wusste man in Boston sehr genau über seinen Vater und dessen noch weit grausamere Vergangenheit Bescheid. Harriet würde nicht nur ihrem Vater davon erzählen, sobald sie wieder daheim war, sondern ihn, Charles, zutiefst verachten. Dies war ein Gedanke, der wie Blei in seinem Magen lag.
Harding grübelte ebenfalls eine Weile düster vor sich hin, bis er bemerkte, wie Charles nachdenklich mit dem neben ihm liegenden Brief spielte.
»Von Ihrer Miss Harriet?«
Charles’ Miene nahm einen Ausdruck genervter Duldsamkeit an. »Woher wissen Sie das schon wieder?«
»Zum einen daher, weil er bis hierher nach Parfüm stinkt.«
Charles hob den Brief unwillkürlich an seine Nase. Ihm war nichts aufgefallen. Ja, er roch ein wenig, aber ganz zart, kaum merklich. Er warf Harding einen gallenbitteren Blick zu.
»Und sonst von ihrem Vater.« Harding feixte zufrieden, weil Charles ihm auf den Leim gegangen war. »Ich habe ihn auf dem Weg hierher getroffen. Er hat mir erzählt, dass seine Tochter abgereist ist, und meinte, Sie müssten davon wissen, sie hätte Ihnen geschrieben. Er wirkte etwas aufgelöst, der arme Mann.«
»Inwiefern? Gab es Probleme?«
»Bei Harriet Dorley wohl immer, soweit ich ihn verstanden habe. Wenn ich so eine Tochter hätte …«, begann Harding.
»Lassen Sie die Sprüche, Mortimer«, unterbrach ihn Charles, »und erzählen Sie schon.«
»Die junge Dame hat einen Skandal ausgelöst.« Harding ließ sich die Worte auf der Zunge zergehen.
»Und?«, bohrte Charles nach, als er nicht gleich weitersprach.
»Da ich dachte, es könnte Sie interessieren, habe ich noch anderweitig nachgeforscht. Es war nicht leicht, Details zu erhalten; die Leute bei Sir Percival werden gut bezahlt und haben überraschend viele Hemmungen, über das zu klatschen, was im Haus vor sich geht. Wäre da nicht die Kleine gewesen, die mit dem …«
»Harding!«
Harding grinste und kratzte sich mit seinem Haken am Kinn. »Es gab einen beachtlichen Streit mit seiner Hoheit, dem Prinzen Jahan.«
Charles setzte sich interessiert auf.
»Offenbar hat es seine Hoheit nicht ganz verkraftet, von dem Mädchen abgeschoben zu werden, und hat sie immer wieder besucht. Was beim letzten Mal passiert ist, konnte niemand sagen, da die Türen verschlossen waren …«
Charles’ Kiefermuskeln verspannten sich. Verschlossene Türen. Jahan hatte zweifellos sein Glück immer fordernder bei Harriet versucht. Das Bild des Inders, wie er Harriet dieses Mal nicht nur die Hände küsste, stieg in ihm hoch und hinterließ den Geschmack von Zorn und Übelkeit.
»… auf jeden Fall ist Ihre Miss Harriet plötzlich sehr laut geworden. Der edle Prinz schrie zurück – vermutlich ist er ein solches Benehmen von seinem Konkubinat nicht gewöhnt –, dann hörte man Splittern, Krachen, Glas brechen, und am Ende stürzte seine Hoheit wutentbrannt und etwas derangiert aus der Tür, aus dem Haus und auf sein Pferd. Und ward
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