Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
Kraftlos blieb sie am Boden sitzen.
Sullivan stieg ebenfalls ein und half ihr auf die Sitzbank. »Ich bitte Sie, Miss Harriet, seien Sie vernünftig. Wir müssen von hier weg und sofort abreisen. Es ist etwas geschehen, das es uns unmöglich macht, länger auf Kuba zu bleiben.«
»Wir werden nicht abreisen«, sagte Harriet leise, aber bestimmt. »Nicht, bevor wir nicht Charles gefunden haben.« Sie wusste, dass die beiden Männer sie nicht aus der Kutsche lassen würden, aber wenn sie einmal im Hotel war, bei Lan Meng, dann würde sie Mittel und Wege finden, jeden Stein und jede Welle abzusuchen.
Ein Mann trat an Harding heran, als dieser gerade einsteigen wollte. Er sprach auf ihn ein, dann drehte er sich um und verschwand wieder. Harding stieg wortlos ein und schlug die Kutschentür hinter sich zu. Als die Pferde anzogen, lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
»Diese Leute hier sind Engländern nicht wohlgesinnt, Miss Harriet«, bemerkte Sullivan. »Es hat Zwischenfälle gegeben.«
»Wir müssen sofort in See stechen«, sagte Harding heiser, »andernfalls wird die Sea Snake beschlagnahmt, und wir landen alle im Gefängnis.«
Sullivan lächelte sie an. Harriet hätte ihn am liebsten dafür geschlagen. »Das stimmt leider. Falls Sie nicht mit Captain Harding reisen wollen, so habe ich die Freude, Ihnen eine bequeme Kajüte auf dem Schiff meines Bruders anzubieten.«
»Miss Dorley reist auf der Sea Snake .« Hardings Stimme war scharf wie ein Dolch. »Ihre Sachen befinden sich schon an Bord.«
* * *
Harding brachte Harriet trotz ihrer Proteste sofort auf die Fregatte. Als sie bemerkte, dass das Schiff unmittelbar darauf Anker lichtete, eilte sie zu Harding aufs Achterdeck, wo der Schiffszimmermann bei ihm stand und leise auf ihn einredete. Harriet sah, wie sich Hardings eben noch düsteres Gesicht aufhellte. Bains, sein Erster Offizier, lächelte sogar ein wenig.
Harriet marschierte entschlossen auf ihn zu, Harding würdigte sie jedoch keines Blickes, als er sagte: »Gehen Sie auf Ihre Kajüte, sonst lasse ich Sie hinunterschaffen.«
»Ich werde nicht von hier abreisen, ehe ich nicht weiß, was aus Charles geworden ist.«
Hardings Augen waren dunkel wie Schiefer, als er sich nach ihr umwandte. »Er ist ins Meer gefallen, Sie haben es ja gehört. Es gibt nichts, absolut nichts, was Sie für ihn tun können. Und damit ist das Thema beendet. Sollten Sie jetzt noch einmal den Mund aufmachen, werde ich Sie knebeln.«
Harriet schluckte die Beleidigung, die ihr schon auf der Zunge lag, ebenso hinunter wie ihre Tränen. »Wo ist Lan Meng?«
Harding beobachtete das Ablegemanöver, das wie immer reibungslos verlief. »Sie ist nicht an Bord.«
»Das weiß ich!« Harriet war außer sich. Der Schmerz um Charles wandelte sich zu Hysterie.
»Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist, aber das ist ihr Problem, wir können nicht länger warten, sonst versäumen wir die Flut.«
»Sie wollen ohne sie abreisen?« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Ihre Finger waren zu Krallen gebogen, als wollte sie ihm die Augen auskratzen.
Harding fuhr zu ihr herum. »An Ihrer Stelle würde ich den Mund halten. Ich habe verdammt gute Gründe, keinen Moment länger hierzubleiben. Und jetzt runter vom Deck, sonst lasse ich Sie von meinen Männern in Ihre Kajüte schaffen!«
»Miss Harriet!«
»Was tut er hier?«, begehrte Harriet von Harding zu wissen, als Sullivan auftauchte.
»Major Sullivan wollte sich nur davon überzeugen, dass es Ihnen gutgeht«, erwiderte Harding kalt. »Er wird später auf sein Schiff zurückkehren; es liegt etwas weiter draußen vor Anker.«
»Wir segeln gemeinsam, Miss Harriet«, meinte Sullivan mit einem schmierigen Lächeln. »Mein Bruder wird uns mit seiner Fregatte begleiten. Das ist sicherer als mit einem einzigen Schiff.«
»Sie wollen wirklich davonsegeln und Charles und Lan Meng ihrem Schicksal überlassen? Das ist doch ein abgekartetes Spiel! Wie können Sie Charles nur so hintergehen!« Harriets Stimme hatte eine Tonhöhe und Lautstärke angenommen, die in den Ohren schmerzte. Die Matrosen blickten schon herüber. Harding packte sie am Arm und schob sie vor sich her zum Niedergang. Harriet kämpfte gegen ihn an, wollte sich losreißen, doch Harding hielt sie eisern fest.
»Schweigen Sie endlich, Sie unglaublich dumme Person.« Ehe Harriet es sich versah, hatte er sie schon die Treppe hinunterbugsiert und sie in die Kajüte gestoßen. Sie wirbelte herum, aber da war die feste Tür
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