Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
getan. Aber ihr Trotz war stärker. »So leicht lasse ich mich nicht einschüchtern. Nichts, was Sie oder ein anderer mir antun könnten, wäre schlimmer als das Bewusstsein, Schuld an Charles’ Tod zu sein. Oder zu wissen, dass ich nichts dazu getan habe, ihn zu finden!«
»Dieses zumindest geringe Maß an Selbstkritik steht Ihnen ganz gut«, knurrte Harding, während er Wasser aus dem Krug in einen Becher goss und ihn Harriet hinhielt. Obwohl diese kaum den Blick davon abwenden konnte, drehte sie den Kopf fort.
»Was macht Major Sullivan hier?« Dass die beiden zusammenarbeiteten, war mehr als klar, auch wenn sie die ganzen Zusammenhänge und die Pläne dieser Verbrecher noch nicht durchschaut hatte. Harriet fuhr sich über die trockenen Lippen. Es war, als hätte sie statt einer Zunge Sandpapier im Mund. Sie atmete tief und gleichmäßig, um der Übelkeit und des Schwindels Herr zu werden.
»Wir haben ein Geschäft. Und Sie sind ein Teil davon. Und jetzt trinken Sie endlich, verdammt noch mal! Leider hat mir Charles’ letztes Liebchen die Hand abgehackt, sonst würde ich Sie jetzt beim Genick halten und Ihnen das Wasser reingießen.«
Harriet starrte ihn aus geröteten Augen an. Sie zitterte vor Hunger, Zorn und Übermüdung. »Ich dachte immer, Sie mögen Charles.«
»Mögen«, erwiderte Harding kalt, »ist ein Ausdruck, der sich nicht in meinem Wortschatz befindet.« Er beugte sich drohend über sie. »Sie werden auf jeden Fall essen und trinken, Miss Dorley. Wenn es sein muss mit Zwang, aber es ist nicht angenehm, dabei entweder halb zu ertrinken oder wie eine Gans gestopft zu werden. Wollen Sie, dass dies zwei meiner Männer für mich erledigen?«
Harriet starrte auf das Glas, dann gab sie nach. Der erste Schluck war schmerzhaft. Harding zog ihr das Glas wieder von den Lippen, als sie einige große Schlucke machte. »Langsam trinken.«
Sie warf den Kopf zurück und starrte ihn hasserfüllt an.
»Für eine Frau, die davongelaufen ist, sind Sie erstaunlich erpicht darauf, Ihren Charles wiederzubekommen«, sagte er grob. »Nach dem, was man mir erzählt hat, hätte ich vermutet, dass Sie froh sind, ihn endgültig los zu sei…«
Harriets Hand klatschte so heftig auf Hardings Wange, dass dessen Kopf zur Seite gerissen wurde. Er machte jedoch keine Bewegung zur Abwehr, als sie abermals die Hand hob, sondern sah sie nur kalt an. Harriet hielt inne, in ihren Augen glitzerten Tränen der Wut. »Wagen Sie es nicht, mir noch einmal solche Worte zu sagen. Sie waren es, der Charles zurückgelassen und mich gezwungen hat mitzukommen.«
Harding musterte sie von oben bis unten. »Das stimmt. Und wäre es nicht wegen Charles gewesen, hätte ich Sie dort in dem Kerker gelassen. Da gehörten Sie meiner Meinung nach auch hin.« Er ging zu dem, was von der Tür übrig geblieben war. »Das werde ich reparieren lassen, damit Sie sich nicht gestört fühlen. Aber die Fensterläden bleiben. Wir wollen ja nicht, dass unsere geschätzte Passagierin auf die Idee kommt, ein Bad zu nehmen. Ach ja, noch ein letzter guter Rat«, warf er über die Schulter zurück, »essen Sie langsam, sonst kommt es wieder hoch. Und nehmen Sie sich zusammen, sonst lege ich Sie übers Knie wie ein ungezogenes Kind. Ich habe weder Zeit noch Lust, mich mit hysterischen Weibern herumzuschlagen, nur weil Charles einen Narren an Ihnen gefressen hat.« Damit fiel die lädierte Tür hinter ihm zu.
* * *
Charles saß mit Ramirez, Lan Meng und Captain Johnson von der El Capitano zusammen und lauschte mit steigendem Grimm Lan Mengs und Johnsons Erklärungen. In der Hand hielt er einen Bogen Briefpapier, auf dem sich einige wenige Sätze in einer engen, steilen Schrift fanden.
»Harding hat also Harriet an Bord genommen, um mit ihr nach Boston zu verschwinden. Und Reading und Sullivan sind die Köpfe der Bande«, fasste Charles am Ende zusammen.
»Ich frage mich nur«, stellte er mit einem scharfen Blick auf Ramirez fest, »wie es sein kann, dass sie unter Ihren Augen eine Flotte zusammenziehen und diese Gegend als Basis dazu verwenden, uns anzugreifen. Und dass Reading Sie ausspioniert.«
»Oder Sullivan Sie«, erwiderte Ramirez mit einiger Schärfe. »Sie müssen jemanden unter Ihren Leuten haben, der Sullivan die Informationen übergab, und dieser schickte sie an seinen Bruder weiter. Außerdem haben wir ja schon festgestellt, dass sich der Stützpunkt der Piraten weder hier befindet noch auf Hispaniola, wohin man Sie fälschlicherweise lotsen
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