Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
schon ins Schloss gefallen, und ein Riegel wurde vorgelegt.
Sullivan verzog das Gesicht, als Harding wieder an Deck erschien.
»Das lief nicht so gut. Wie kommt sie darauf, dass es ein abgekartetes Spiel war?«
»Das sollten Sie sich selbst fragen«, erwiderte Harding abfällig. »Oder haben Sie vergessen, dass ich gehört habe, wie Charles Sie gefordert hat? Und weshalb?« Er sah Sullivan abschätzig an. »Da haben Sie ein ganzes Stück Arbeit vor sich, wenn Sie die Lady auf Ihre Seite bekommen wollen.«
Sullivan warf ihm einen galligen Blick zu. »Sie hätte auf meinem Schiff mitfahren sollen, dann hätte ich besser Gelegenheit gehabt, sie …«
»Sie bleibt auf der Sea Snake «, unterbrach ihn Harding kalt.
»Sie vertrauen mir nicht?«
»Harriet Dorley gehört zu unserem Geschäft, und ich gebe nicht gern alle Trümpfe aus der Hand.« Er grinste spöttisch. »So gute alte Geschäftspartner sind wir schließlich noch nicht.«
Sullivan zuckte mit den Schultern. »Und was ist aus dieser Chinesin geworden?«
Sie segelten soeben an El Morro vorbei, und Harding sah sinnend hinüber. »Ich würde sagen, sie teilt soeben Charles Daughertys Schicksal.«
Die Fenster ihrer Kajüte waren mit Brettern vernagelt. Harriet versuchte, die Holzplatten wegzureißen, aber wer immer sie angebracht hatte, hatte ganze Arbeit geleistet. Als ihre Finger von den Anstrengungen bluteten, machte sie sich daran, die schwere Seekiste, in der sich ihre Kleidung befand, vor die Tür zu zerren.
Endlich setzte sie sich hin.
Aber gleichgültig, ob sie auf einen Punkt an der Holzwand oder auf ihre Hände starrte oder die Augen schloss, unaufhörlich gaukelte ihre Phantasie ihr das Bild vor, wie Charles ins Meer stürzte und an den Felsen aufschlug. Wie er leblos im Wasser trieb und niemand da war, um ihm zu helfen.
Sie krümmte sich zusammen und weinte lautlos. Sie hätte Charles noch sagen sollen, wie sehr sie ihn liebte.
11. Kapitel
A ls Charles erwachte, schmerzte sein ganzer Körper. Für einige Augenblicke wusste er nicht, was geschehen war, doch dann kam die Erinnerung mit einem Schlag zurück. Das Gefängnis. Die Rutsche. Harriet.
Er setzte sich mit einem Ruck auf und stöhnte, als sein Kopf pochte, als hätte er eine ganze Reihe von Schlägen abbekommen. Was bei seinem Sturz ins Wasser wahrscheinlich auch der Fall gewesen war. Er versuchte blinzelnd, sich zu orientieren. Er befand sich in einem bequemen Bett mit Gazevorhängen, die sich leicht im Luftzug, der durch ein geöffnetes Fenster drang, bewegten. Das war nicht sein Hotelzimmer. Er biss die Zähne zusammen, streckte sich und bewegte versuchsweise Arme und Beine. Es fühlte sich zwar an, als wäre er mehrmals unter einem Schiff durchgezogen worden, aber es schien nichts gebrochen zu sein. Er besah sich seine bandagierten Hände; vermutlich war unter dem Verband nur rohes Fleisch; die Handinnenflächen brannten höllisch, selbst wenn er die Hände ruhig hielt. Der Verband ließ seine Fingerspitzen frei, und Charles betrachtete für wenige Momente die abgebrochenen und tief eingerissenen Fingernägel.
Sein Oberkörper war nackt, ebenso wie der Rest, stellte er mit einem schnellen Blick unter die Decke fest. Etwa fünf Schritte vom Bett entfernt hingen über einem Stuhl ein frisches Hemd und saubere Hosen. Fluchend und ächzend wie ein Achtzigjähriger kroch er aus dem Bett und humpelte, während er eine überdimensionale Beule auf seinem Kopf betastete, zu den Kleidungsstücken hinüber. Als er gerade in die Hosen schlüpfte – es waren sogar seine eigenen –, öffnete sich die Tür.
»Bist du endlich wach? Du hast gut rund um die Uhr geschlafen.«
»Lan Meng!« Charles verschloss hastig die Hosen und eilte mit wenigen Schritten zu der Chinesin. Dann war es keine Halluzination gewesen, als er ihr Gesicht gesehen hatte, bevor er untergegangen war! Er umfasste ihr zartes Handgelenk so fest, dass die sonst wirklich nicht zimperliche Frau das Gesicht verzog. »Was ist mit Harriet?«
»Nicht aufregen.« Lan Meng tätschelte beruhigend seine Hand. Sie hatte beschlossen, dass Charles in Zukunft von ihr bevorzugt behandelt wurde. Er hatte es verdient. Im Gegensatz zu Harriet war sie nicht gleich davongerannt, als sie das Gespräch zwischen dem Spanier und Charles mit angehört hatte, sondern hatte noch einige interessante Dinge belauscht, die Charles in ihrer Sympathie hatten steigen lassen. Außerdem war das Gespräch zwischen ihm und Harding am Abend davor noch
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