Die Seidenbaronin (German Edition)
wie er dessen Sohn am besten ausbooten kann. Aber wenn Sie solche Bedenken haben – warum nehmen Sie nicht Homberg mit?»
«Was soll ich mit Homberg? Er mag ein guter Buchhalter sein, aber er spricht weder Französisch, noch verfügt er über diplomatisches Geschick. Ich habe schließlich nicht vor, das Seidenunternehmen meines Vaters weiterzuführen. Mein einziges Anliegen ist es, den größtmöglichen Gewinn aus dem zu ziehen, was man in Crefeld noch aus den Fängen der Franzosen retten kann.»
Paulina starrte ihn fassungslos an. «Sie sind unmöglich! Vor ein paar Stunden haben Sie erfahren, dass Ihr Vater tot ist, und jetzt denken Sie schon an nichts anderes als an Ihren Vorteil!»
«Und was ist mit Erldyk?», fragte Pierre. «Der Besitz der Adeligen wird von den Franzosen konfisziert. Möchten Sie das Schloss Ihres Vaters verlieren?»
Paulina winkte ab. «Sie können Erldyk haben! Ich verkaufe es Ihnen. Noch heute werde ich Homberg bitten, einen Vertrag aufzusetzen …»
Sie konnte nicht weiterreden, denn sie wurde auf einmal von einer furchtbaren Übelkeit befallen. Schweiß perlte auf ihren Schläfen, und sie stützte ihren Kopf in die Hände, in der Hoffnung, dass dieses Unwohlsein vorübergehen würde. Doch es wurde immer schlimmer, und ihr blieb nichts anderes übrig, als aufzuspringen und fluchtartig das Zimmer zu verlassen, um eine Waschschüssel aufzusuchen.
«Was ist nur mit mir los?», fragte sie sich, als ihr Magen sich wieder etwas beruhigt hatte. Doch dann entspannten sich ihre Züge, und ein Lächeln erhellte ihr Gesicht.
«Aber natürlich! Ich erwarte ein Kind!»
Wie dumm von ihr, dass sie das nicht gleich erkannt hatte! Dabei hätte ihr aufgrund gewisser Anzeichen längst diese Vermutung kommen müssen.
Ein unendliches Glücksgefühl erfüllte die junge Frau. Sie trug ein Kind von Christian unter dem Herzen, die Frucht ihrer großen Liebe. Erneut wurde ihr an einem vom Tod überschatteten Tag bewusst, dass ein neues Leben in ihr reifte.
Paulina verspürte plötzlich den brennenden Wunsch, ihr süßes Geheimnis jemandem mitzuteilen. Sie ging ins Kinderzimmer hinauf und erzählte ihrer kleinen Tochter Anna, die ihr mit großen, staunenden Augen zuhörte, dass sie in nicht allzu langer Zeit ein Geschwisterchen bekommen würde.
Nach ihrer anfänglichen Freude wurde Paulina von wachsenden Zweifeln befallen. Sie verbrachte eine schlaflose Nacht, in der sie sich vorstellte, wie man ihre Schwangerschaft aufnehmen würde. Was würde Pierre sagen? Außer Paulina wusste niemand besser als er, dass das Kind nicht von ihm war.
Und Christian? Paulina konnte sich den Skandal lebhaft vorstellen. Der hochangesehene, vielversprechende Christian von Bahro, Sohn eines Ministers am kurfürstlichen Hof von Hannover, Premierleutnant der hannoverschen Armee, in den Fängen einer gewissenlosen Ehebrecherin. War ihre Liebe stark genug, um das auszuhalten?
Nachdem die junge Frau sich stundenlang von einer Seite auf die andere gewälzt hatte, stand ihr Entschluss fest. Lieber sollte Christians Kind den Namen von Ostry tragen, als zeit seines Lebens mit dem Makel des Ehebruchs behaftet zu sein.
Und wenn Pierre das Kind nicht anerkennen würde?
Paulina setzte sich im Bett auf. Nun, dem konnte man immerhin abhelfen. Dann müsste sie ihrem Gatten nur noch die kleine Unstimmigkeit von zwei Monaten erklären …
Entschlossen schlug Paulina die Bettdecke zurück.
Sie tastete nach ihrem Morgenmantel, zündete eine Lampe an und stand auf. Obwohl bleierne Müdigkeit sie lähmte, schleppte sie sich zum Frisiertisch. Beim Blick in den Spiegel stellte sie fest, dass sie grauenhaft aussah. Mit ein paar geübten Bewegungen brachte sie ihr Haar in Ordnung und trug ein wenig Schminke auf. Dann benetzte sie ihren Hals mit etwas Parfüm und lockerte das Band am Dekolleté ihres Nachtgewandes.
Sie betrachtete sich ein letztes Mal prüfend im Spiegel, nahm die Lampe und verließ leise ihr Zimmer. Im Haus war noch alles dunkel und still. Paulina schlich über den Flur und hielt vor einer Tür am Ende des Ganges. Nach einem kurzen Moment des Zögerns betrat sie entschlossen den dahinterliegenden Raum.
Das Licht der Lampe erhellte ein breites Bett, auf dem quer ausgestreckt zwischen weißen Laken Pierre von Ostry lag und schlief.
Paulina stellte die Leuchte auf einem Nachttischchen ab. Dann band sie ihren Morgenmantel auf, ließ ihn zu Boden fallen und schlüpfte unter die Bettdecke an die Seite ihres Gatten.
Pierre
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