Die Seidenbaronin (German Edition)
würden. Der Magistrat werde bald neu gebildet, da könne man unmöglich die Stadt verlassen.
Das Leben in Blommersforst begann, für alle Beteiligten unerträglich zu werden. Frau von Ostry und Sybilla stöhnten in einem fort, Catherine war gelangweilt und unzufrieden, Pierre hatte ständig schlechte Laune. Erschwerend kam hinzu, dass Paulina sich seit einigen Tagen nicht wohl fühlte.
Ich muss mich dringend ein wenig ablenken, sonst werde ich noch verrückt, dachte sie und nahm sich vor, einmal im Kontor nach dem Rechten zu sehen und dem guten Homberg einen Besuch abzustatten.
«Darf ich ganz ehrlich zu Ihnen sein, gnädige Frau?», fragte der kleine hagere Buchhalter, während seine Augen hinter der Brille nervös hin und her irrten.
«Ich bitte darum, Homberg», antwortete Paulina. «Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, dass man mich nicht schonen muss. Gehen die Geschäfte so schlecht?»
«Schlecht? Aber im Gegenteil, Madame – die Geschäfte gehen wunderbar. Aus diesem Grunde verstehe ich nicht, warum der gnädige Herr nur wegen der Färberei nach Crefeld gefahren ist.»
«Was ist daran nicht zu verstehen, dass Herr von Ostry seine Färberei zurückerhalten will?»
«Aber gnädige Frau!» Homberg rang die Hände. «Vergessen Sie nicht, dass wir uns mit Frankreich im Krieg befinden! Es ist ein großes Risiko, sich derzeit auf französisch besetztes Gebiet zu begeben. Im Übrigen werden sich die Generäle kaum von einem emigrierten Crefelder Fabrikanten etwas vorschreiben lassen.»
«Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde aber doch der Crefelder Magistrat im Amt belassen», wandte Paulina erstaunt ein. «Hat er demzufolge nicht weiterhin das Sagen in der Stadt? Bürgermeister Althoff war meinem Schwiegervater immer wohlgesinnt.»
Homberg konnte sein Unverständnis über Paulinas Naivität nicht verhehlen. «Möchten Sie wissen, wer in Crefeld das Sagen hat? Selbst wenn die Franzosen dem Magistrat gegenüber den Anschein erweckt haben sollten, als hätten sie weitgehend alles beim Alten belassen, so werden sie nicht zögern, die Herren Gemeindevorsteher sofort zum Teufel zu schicken, falls diese nicht im Sinne der republikanischen Sache handeln.»
«Homberg!», rief Paulina empört. «Solche Reden aus Ihrem Munde? Woher beziehen Sie Ihre umfangreichen Kenntnisse, wenn schon ein Brief nur schwer über den Rhein zu befördern ist?»
«Was glauben Sie wohl, was einen guten Kontorangestellten ausmacht?», meinte Homberg mit einem listigen Lächeln. «Ich habe meine Quellen, Madame, und damit sie nicht versiegen, habe ich nicht vor, sie preiszugeben.» Er kratzte sich verlegen am Kopf. «Wenn ich mir noch eine Bemerkung erlauben darf – Herr von Ostry hätte seinen Sohn Pierre mit nach Crefeld nehmen sollen.»
«Pierre?», fragte Paulina verblüfft. «Worin sollte Pierre seinem Vater wohl behilflich sein können?»
«Nun, der junge Herr von Ostry hat ein besonderes Geschick darin, mit den Franzosen umzugehen. Das konnte er ja bereits hinlänglich beweisen.»
«Er hat jedoch wenig Geschick für geschäftliche Dinge.»
«Im Augenblick dürften in Crefeld andere Qualitäten gefragt sein, gnädige Frau. Die Geschäfte können erst wieder blühen, wenn man sich mit den Franzosen ins Benehmen gesetzt hat.»
Paulina betrachtete den Kontorangestellten nachdenklich. Der Mann hatte vielleicht nicht einmal unrecht.
«Je nachdem, wie sich die Lage in Crefeld weiterentwickelt», referierte Homberg weiter, «könnte man darüber nachdenken, sich die unweigerlich dort stattfindenden Veränderungen zunutze zu machen. Mit der Neugestaltung der Verwaltung durch die Franzosen wird wahrscheinlich eine Art Gewerbefreiheit einhergehen. Die von der Leyens werden ja nun, da Crefeld nicht mehr preußisch ist, ihr vom König zugebilligtes Monopol auf die Produktion von Seidenstoffen verloren haben.»
Paulina horchte auf. «Das hört sich in der Tat interessant an. Soweit ich weiß, ist es das, was mein Schwiegervater immer wollte.»
«Zwar werden den Handeltreibenden in Crefeld vorerst die Wege über den Rhein versperrt bleiben – was zugegebenermaßen die Beschaffung der Rohseide erschwert –, aber durch den Wegfall der Binnenzölle könnte man sein Augenmerk vermehrt auf die französischen Gebiete richten.»
«Was durch unsere familiären Verbindungen zu Frankreich nicht schwierig sein dürfte», fügte Paulina hinzu.
«Ich merke, dass Sie mich wieder einmal verstanden haben», stellte Homberg befriedigt
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