Die Seidenbaronin (German Edition)
fest. «Man muss außerdem abwarten, wozu sich unser kriegsmüder preußischer König entscheidet. Sollte er mit Frankreich Frieden schließen, hängt alles davon ab, ob die Franzosen bereit sind, ihm die linksrheinischen Gebiete zurückzugeben. Falls es aber nicht zu einem Frieden zwischen Preußen und Frankreich kommt …»
«… müsste man andere Einfuhrwege finden», ergänzte Paulina, worauf der Kontorangestellte anerkennend nickte.
«Hier hätte die Familie von Ostry mit ihren französischen Kontakten einen entscheidenden Vorteil. Sollten dann auch noch die holländischen Häfen wieder zugänglich werden …», Homberg ließ den Satz unvollendet und machte zur Verdeutlichung der Fülle von entstehenden Möglichkeiten eine ausladende Handbewegung.
«Haben Sie Herrn von Ostry Ihre Überlegungen auch mitgeteilt?», erkundigte Paulina sich.
«Selbstverständlich, gnädige Frau. Er wollte jedoch nichts davon wissen. Vielleicht ändert er seine Meinung, während er in Crefeld ist.»
In diesem Augenblick flog die Tür zum Kontor auf, und einer von Pierres Dienern stürzte in den Raum. Paulina wollte den Mann gerade fragen, ob er noch ganz gescheit sei, einfach so hereinzuplatzen, als sie bemerkte, dass er völlig verstört war.
«Gnädige Frau!», rief er mit einer Miene, in der sich blankes Entsetzen spiegelte. «Endlich habe ich Sie gefunden!»
Paulina erhob sich eilig von ihrem Stuhl. Ein plötzlicher Schwindel erfasste sie. «Was ist geschehen?», fragte sie und spürte, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich.
«Gerade ist eine Eilstafette aus Crefeld eingetroffen, gnädige Frau! Herr von Ostry … der gnädige Herr … er und sein Sohn sind überfallen worden … vor den Toren der Stadt … Bauern haben sie gefunden …»
«Und weiter?», rief Homberg, der nun ebenfalls aufgesprungen war. «Was ist mit ihnen? Wurden sie verletzt?»
Der Diener schluckte schwer. «Sie sind beide tot!»
Paulina bemerkte noch, wie Homberg besorgt zu ihr herüberschaute. Dann verlor sie das Bewusstsein.
«Ich hätte nicht gedacht, dass die Nachricht vom Tod meines Vater Sie gleich umfallen lässt», meinte Pierre. «Für so zart besaitet hatte ich Sie nicht gehalten.»
Paulina lag auf einem Diwan im Salon. Auch Stunden nach ihrer Ohnmacht wollten ihre Kräfte nicht zurückkehren. Aus der bestürzten Miene, mit der Pierre sie anblickte, schloss sie, dass sie immer noch hundeelend aussah.
Sie hatte in einer Art Dämmerzustand verfolgt, was Homberg und der Verwalter von Blommersforst über den Überfall berichteten, dem Conrad und Jean von Ostry zum Opfer gefallen waren. Der Seidenfabrikant und sein Sohn hatten sich auf dem Weg nach Erldyk befunden, als eine der Gaunerbanden, die sich im Zuge des Krieges überall im Rheinland gebildet hatten, die beiden Männer überfallen haben musste. Bauern hatten die Getöteten gefunden und mit der Hilfe französischer Soldaten nach Crefeld zurückgebracht. General Lefebvre persönlich hatte Bürgermeister Althoff von dem tragischen Unglück in Kenntnis gesetzt, und der hatte sofort einen Eilkurier nach Blommersforst geschickt. Die Familie von Ostry könne ohne Hindernisse ins französisch besetzte Gebiet einreisen, um ihre Lieben zu beerdigen.
Paulina richtete sich mühsam von ihrer Ruhestätte auf.
«Wie soll es nun weitergehen?», fragte sie.
Pierre seufzte. «Ich werde wohl oder übel mit Kronwyler nach Crefeld fahren müssen. Es gibt schließlich einiges zu regeln, und Maman dürfte derzeit kaum in der Lage sein, dies allein zu bewältigen.» Er zupfte verlegen an seinem Kragen. «Es mag Ihnen albern vorkommen, meine Liebe, aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich nach Crefeld begleiten würden.»
Obwohl Paulina sich miserabel fühlte, konnte sie nicht umhin, spöttisch aufzulachen. «Ich finde Sie nicht albern, sondern eher unverschämt. Vor ein paar Tagen haben Sie mir noch erzählt, dass wir besser getrennte Wege gehen sollten, und nun wollen Sie mich plötzlich an Ihrer Seite haben. Was hat Sie zu Ihrem Sinneswandel bewogen?»
«Ganz einfach: mein Unvermögen in Dingen, die das Geschäftliche betreffen!», antwortete Pierre frei heraus. «Ohne Ihre Unterstützung werde ich Kronwyler ausgeliefert sein. Er wird sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, mich über den Tisch zu ziehen.»
«Sie sehen Gespenster, mein Lieber! Machen Sie Kronwyler nicht schlechter, als er ist! Er hat gerade seinen Teilhaber verloren – da wird er doch nicht darüber nachdenken,
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