Die Seidenbaronin (German Edition)
Begräbnis will ich nichts mehr davon hören! Danach wird mein Vetter sich um alles kümmern!»
Am nächsten Tag ließ der Volksrepräsentant Paulina zu sich rufen. Die junge Frau betrat erneut die ehemaligen Räume ihres Schwiegervaters und ging auf diesen unheimlichen Mann zu, in dem sie auf irgendeine unerklärliche Weise eine sonderbare Form der Zuneigung geweckt hatte.
Er war dabei, in Aufzeichnungen zu blättern, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Ob er auch zum Regime des Schreckens gehört hatte? Beim Anblick seiner grausam-zynischen Gesichtszüge machte Paulina sich jedenfalls keine Illusionen darüber, unter welchen Umständen dieser Mann zu seiner mächtigen Stellung gelangt war.
«Ich habe mich der Sache Ihres Schwiegervaters und Ihres Schwagers angenommen», sagte Longeaux und blickte von seinen Papieren auf. «Mir scheint, dass der Angelegenheit noch niemand nachgegangen ist.» Er wies mit herrischer Geste auf einen Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand, und Paulina setzte sich wie mechanisch nieder.
«Ich verstehe nicht ganz, Monsieur de Longeaux …», begann sie zaudernd.
«Die Zeiten von Monsieur de Longeaux sind vorbei», unterbrach der Franzose sie barsch. «Ich bin der Volksvertreter Longeaux, nicht mehr und nicht weniger.»
Paulina nickte verwirrt.
«Ich habe hier die Berichte über den Angriff auf Ihre Verwandten», fuhr Longeaux fort. «Leider war bisher nicht ganz klar, wer dafür zuständig ist. Ich habe den Divisionsgeneral angewiesen, den Fall zu untersuchen.»
«Was nutzt das noch?», warf Paulina ein. «Mein Schwiegervater und mein Schwager sind seit fast zwei Wochen tot, und sie werden morgen begraben.»
«Ganz einfach, Bürgerin Ostry, ich möchte, dass in meinem Bezirk Zucht und Ordnung herrschen. Gleichgültig, wer den Überfall verübt und Ihre Verwandten getötet hat – sie werden hart dafür bestraft werden. Und ich werde diejenigen finden, das schwöre ich Ihnen.» Er blätterte weiter. «Der Kaufmann Ostry und sein Sohn wurden im Bockumer Wald von Bauern gefunden, sie waren ermordet und ausgeraubt worden. Die beiden Herren waren auf dem Weg nach Erldyk, heißt es hier. Ist dies eine Ihrer Besitzungen?»
«Es ist das Schloss meiner Familie. Ich habe es von meinem Vater geerbt. Monsieur von Ostry hat daraus einen Sommersitz gemacht.»
«Also Adelsbesitz», stellte Longeaux fest. «Wenn ich mich recht entsinne, sind Sie adeliger Abstammung.»
«Genau wie Sie», merkte Paulina vorsichtig an.
Longeaux bedachte sie mit einem grimmigen Blick. «Genau wie ich scheinen Sie rechtzeitig die Seiten gewechselt zu haben. Immerhin sind Sie jetzt mit einem Bürgerlichen verheiratet.» Sein Mund verzog sich zu einem hässlichen Grinsen. «Waren Sie nicht damals in Straßburg hinter einem Grafensohn her?»
Der Gedanke an Christian ließ Paulina schaudern. Instinktiv legte sie die Hände auf ihren Leib.
Longeaux weidete sich an ihrem Unbehagen. «Nun, der gute von Bahro hat sich wohl auf seiner Reise durch Italien in eine andere verliebt. Grämen Sie sich nicht! Er hatte schon in Straßburg viele Bewunderinnen. Solch einen Mann hat man nie für sich alleine.»
Paulina stand so unvermittelt auf, dass beinahe der Stuhl umgefallen wäre. «Untersuchen Sie meinetwegen die Vorgänge um den Tod meines Schwiegervaters und meines Schwagers, Monsieur. Ich hoffe, dass Sie die Mörder finden. Vielleicht wird in Ihren Augen damit wieder die Ordnung hergestellt. Wir werden jedenfalls nach dem Begräbnis nach Westfalen reisen. Wenden Sie sich in allen Fragen an unseren dortigen Verwalter.»
«Immer mit der Ruhe, Bürgerin. Wir waren bei Ihrem Schloss Erldyk stehengeblieben, bevor wir zu Ihrer unglücklichen Liebesbeziehung abgeschweift sind. Sie wissen, dass der Besitz von Adeligen im Allgemeinen enteignet wird?»
«Ich hörte davon, ja. Sie werden mir bestimmt gleich sagen, worauf Sie hinauswollen.»
«Ich biete Ihnen an, einen Verkauf von Erldyk an einen Bürgerlichen Ihrer Wahl in die Wege zu leiten. Dadurch entgeht das Schloss der Enteignung.»
Paulina stutzte. Konnte sie diesem Menschen trauen? Was bezweckte er mit seinem Angebot?
«Ich kann es in Ihrem hübschen Köpfchen förmlich rauchen sehen», amüsierte sich Longeaux. «Keine Sorge, es gibt keinen Haken bei der Sache. Ich möchte nur den Gefallen einlösen, den ich Ihnen noch schulde.»
«Den Sie mir zu schulden glauben», verbesserte Paulina.
«Sie mögen es mir abnehmen oder nicht, aber dieser Gefallen ist mir eine Art
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