Die Seidenbaronin (German Edition)
inneres Bedürfnis.»
«Ich werde es mir überlegen, Monsieur.» Paulina wandte sich zum Gehen. «Solche Entscheidungen darf man nicht vorschnell treffen. Wenn ich schon in den Genuss Ihres unschätzbaren Gefallens komme, dann muss ich doch gut abwägen, in welcher Form er mir am meisten nutzt, nicht wahr?»
Kapitel 33
Conrad und Jean von Ostry erhielten ein feierliches Begräbnis. Drei Tage später erwischte der Divisionsgeneral eine Bande von Räubern, die sich im Bockumer Wald herumgetrieben hatte. Es handelte sich um ein paar junge Gauner, die sich die allgemeine Konfusion der französischen Besetzung zunutze gemacht und auf den bis dahin sicheren Wegen brave Bürger überfallen und ausgeraubt hatten. Man fand die leere Börse des Seidenfabrikanten von Ostry unter ihren kläglichen Habseligkeiten und brachte die Kerle nach Crefeld.
Longeaux beschloss, hart durchzugreifen und ein Exempel zu statuieren. Zur Abschreckung anderer Gauner, die glauben mochten, in den noch nicht organisierten französischen Gebieten Rechtsfreiheit vorzufinden, wurden die Mörder der von Ostrys vor die Tore Crefelds gebracht und standrechtlich erschossen.
All diese Ereignisse nahmen die gute Frau von Ostry so mit, dass sie sich mit Nervenfieber zu Bett legen musste. An eine Rückreise nach Westfalen war vorerst nicht zu denken.
Eines Tages traf Paulina ihren Gatten Pierre zu ungewöhnlich früher Stunde im Salon an.
«Nanu, sind Sie aus dem Bett gefallen?», fragte sie spöttisch.
Pierre, der selten vor Mittag aufstand, gähnte herzhaft. «Ich werde im Rathaus gebraucht. Althoff weiß vor lauter Arbeit nicht, wo ihm der Kopf steht. Da Oppermann und Schmidt abberufen wurden, kommt er kaum noch zurecht. Außerdem ist sein Französisch zu dürftig!»
Von da ab begegnete Paulina ihm fast jeden Morgen, und es wurde zur Gewohnheit, dass er früh aus dem Haus ging und bis spät abends unterwegs war. Sie fragte sich, was er wohl den ganzen Tag so trieb, da sie sich kaum vorstellen konnte, dass ihr zum Müßiggang neigender Gatte sich mit Verwaltungsdingen beschäftigte. Zu ihrer Verwunderung sah sie ihn immer häufiger bei Longeaux ein- und ausgehen. Zwischen den beiden entwickelte sich nach den anfänglichen Disputen ein Verhältnis, das man fast als respektvoll bezeichnen konnte.
Regelrecht erstaunt war Paulina jedoch, als Pierre eines Tages den Küchenmeister anwies, am Abend ein großes Souper wie in früheren Zeiten auszurichten. Man habe den General Lefebvre und einige andere Herren zu Gast, und der Koch solle sich doch bitte besonders ins Zeug legen, soweit dies bei der Knappheit der Lebensmittel möglich sei.
Der Palais Ostry erstrahlte wieder in altem Glanz, nur dass statt der Fabrikanten und Kaufleute nun französische Generäle, Offiziere und Kommissare ins Haus kamen.
Ein wenig zermürbt von den vergangenen, mit Trauer und Krankheit verbrachten Wochen, fand Paulina Gefallen daran, die Gestaltung des Soupers in die Hand zu nehmen. Den ganzen Tag war sie eifrig mit den Vorbereitungen beschäftigt, und als die Stunde nahte, zu der das Festmahl beginnen sollte, stand sie strahlend schön im Salon und fieberte wie ein kleines Kind dem Eintreffen der Gäste entgegen.
Die Herren sparten denn auch nicht mit Komplimenten. Man beglückwünschte Pierre überschwänglich zu seiner bezaubernden Gattin, deren Französisch so perfekt sei, dass man hätte meinen können, sie käme geradewegs aus Paris.
Als man sich eben zu Tisch begeben wollte, meldete der Diener zwei verspätet eingetroffene Gäste.
Hinter dem Bürgermeister Althoff betrat ein südländisch anmutender Mann den Raum. Er war von bäriger Statur und hatte üppige schwarze Locken, die an den Schläfen schon grau zu werden begannen. Seine Lippen zierte ein gezwirbelter Schnurrbart.
Pierre eilte den beiden erfreut entgegen.
«Meine Herren! Hat die Arbeit Sie endlich aus ihren Fängen entlassen? Willkommen in meinem bescheidenen Heim!»
«Nun untertreiben Sie mal nicht, von Ostry!», brummte Althoff und sah sich wehmütig in dem gediegenen Esszimmer um.
«Ein hübsches Haus haben Sie!», sagte sein Begleiter mit angenehmer, melodiöser Stimme. In seinem Blick mischten sich Bewunderung und ein wenig Neid.
Pierre führte seine Gattin zu den neuen Gästen.
«Meine Liebe, darf ich Ihnen Herrn Toscani vorstellen, der mit mir das Schicksal teilt, sich durch seine Französischkenntnisse sowohl bei den Siegern als auch bei den Besiegten unentbehrlich gemacht zu haben.»
Der
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