Die Seidenbaronin (German Edition)
die Eheleute nach dem Fortgang der Gäste noch ein Glas Wein im Kaminzimmer tranken.
Pierre hatte sich auf einem Diwan ausgestreckt und seine Beine auf einen Schemel gelegt. «Ein interessanter Mann, nicht wahr?», sagte er schläfrig. «Er hat Ihnen gefallen, habe ich recht? Toscani muss kurz vor dem Einmarsch der Franzosen in der Stadt aufgetaucht sein. Angeblich stammt er aus Venedig und hat früher als Schauspieler und Sprachlehrer gearbeitet. Er hat es irgendwie verstanden, das Vertrauen sowohl der Franzosen als auch der angesehenen Crefelder Familien zu erlangen, was mich, ehrlich gestanden, nicht wenig wundert, da unsere biederen Mitbürger Fremden gegenüber für gewöhnlich sehr misstrauisch sind.»
«Bei seiner Lebensgeschichte dürfte er Ihnen doch recht sympathisch sein.»
«Nun ja, man kann durchaus sagen, dass uns gewisse Gemeinsamkeiten verbinden. Und die beschränken sich bei weitem nicht auf unsere Dienste als Übersetzer. Apropos, was halten Sie von einem kleinen mitternächtlichen Schäferstündchen, meine Liebe? Ich sollte einmal wieder meine Rechte als Ehegatte geltend machen, bevor Ihnen noch einfällt, diesen Schmeichler zu erhören.»
«Würde Ihnen das überhaupt etwas ausmachen?», fragte Paulina verärgert.
«Wo denken Sie hin? Wenn er für Sie entflammt ist, zeugt das immerhin von seinem guten Geschmack. Es sollte nur ein bisschen was für mich übrig bleiben!»
Paulina spürte Wut in sich aufsteigen. Sie erhob sich von ihrem Stuhl. «Denken Sie daran, mein Lieber, dass die Moralvorstellungen in Crefeld andere sind als die in Berlin. Und was Ihre nette, kleine Einladung betrifft: Nein, von einem mitternächtlichen Schäferstündchen halte ich nicht das Geringste.»
Am nächsten Tag suchte Paulina Kronwyler auf. Er hatte durchgesetzt, dass die Franzosen einen Teil des Geschäftshauses geräumt hatten. So gut es ging, hatte er sich behelfsmäßig in seinem alten Kontor eingerichtet.
«Was passiert, wenn Sie wieder nach Crefeld übersiedeln?», kam Paulina ohne Umschweife zur Sache. «Werden Sie die Produktion in Blommersforst dann aufgeben?»
Kronwyler lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. «Ich hätte es mir denken können, dass ich mit Ihnen darüber verhandele, Madame! Schon damals in Darmstadt habe ich erkannt, welche Talente in Ihnen schlummern.»
«Ich möchte nur die Angelegenheiten meines Schwiegervaters geregelt wissen», stellte Paulina klar.
«Nun, mit irgendjemandem aus der Familie von Ostry muss ich nun einmal besprechen, wie es weitergeht. Ihr Gatte ist in dieser Hinsicht nicht besonders zugänglich.» Kronwyler runzelte die Stirn. «Jedenfalls werde ich mit Pierre als Teilhaber das Unternehmen nicht weiterführen.»
«Wie ich hörte, haben Sie sich ja bereits mit Ihrem Bruder geeinigt.»
«Ja, wir werden es noch einmal miteinander versuchen.»
«Haben Sie bedacht, dass eine Produktion in Crefeld derzeit unmöglich ist?»
Kronwyler schmunzelte. «Derzeit ja. Die Franzosen werden aber kaum die Kuh schlachten, die sie melken wollen. Da die Seidenmanufaktur nun einmal die Hauptstütze der hiesigen Wirtschaft ist, werden die neuen Machthaber allergrößtes Interesse daran haben, dass sie wieder in Gang kommt.»
«Ich verstehe. Und was soll aus uns werden?»
«Das fragen Sie mich?» Kronwyler schlug sich auf die Brust.
«Nun, immerhin ist Sybilla Ihre Tochter. Und Maria von Ostry ist ebenfalls mit Ihnen verwandt.»
Kronwyler machte eine gönnerhafte Handbewegung. «Selbstverständlich werde ich für die beiden Damen sorgen, das steht völlig außer Frage. Aber was Pierre und Sie betrifft …»
«Ohne Sie können wir die Dependance in Blommersforst nicht weiterbetreiben.»
Kronwyler zuckte bedauernd mit den Achseln. «Es tut mir leid, aber ich habe mich für Crefeld entschieden. Ich war von Anfang an nicht begeistert davon, nach Westfalen überzusiedeln. Als die Franzosen immer näher rückten … nun ja, da war es ganz angenehm, aus Crefeld fortgehen zu können, aber jetzt … Es scheint, dass man sich mit diesen Republikanern arrangieren kann.»
«Ganz angenehm?», rief Paulina verärgert. «Sie waren froh, dass von Ostry alles in die Wege geleitet hatte und Sie sich nur noch ins gemachte Nest setzen mussten!»
Kronwyler beugte sich vor und bedachte die junge Frau mit einem väterlich-mitleidigen Blick. «Darf ich Ihnen einen guten Rat geben, meine Liebe? Machen Sie sich das Leben nicht unnötig schwer! Sie sind
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