Die Seidenbaronin (German Edition)
fremde Mann lächelte galant. «Ich ahnte nicht, dass diese Stadt so schöne Töchter hat!» Toscani nahm Paulinas Hand und drückte seine Lippen darauf, ohne die Augen von ihr zu lassen.
«Meine Gattin stammt nicht aus Crefeld», erklärte Pierre beiläufig, schon halb wieder dem französischen General zugewandt.
«Ihr fehlt auch die Beschaulichkeit der niederrheinischen Bürger», bemerkte Toscani süffisant grinsend.
Den ganzen Abend über spürte Paulina seinen Blick auf sich ruhen. Dabei konnte sie nicht einmal behaupten, dass sein offenkundiges Interesse ihr unangenehm war.
Während Pierre und der General über die elende Assignatenwirtschaft debattierten, wanderten Paulinas Gedanken zu Christian. Wo er wohl gerade sein mochte? Vor ihrer Abreise nach Crefeld hatte sie einen Brief von ihm erhalten, in dem er schrieb, dass Holland wohl nicht mehr lange zu halten sei. Dennoch sei vorerst nicht daran zu denken, nach Mecklenburg zu kommen. Nichtsdestotrotz hatte Paulina beschlossen, so bald wie möglich nach Boltenhusen zurückzukehren, nachdem nun niemand daran zweifeln würde, dass das Kind, das sie erwartete, von Pierre war.
Wenn er doch nur endlich die Angelegenheiten seines Vaters regeln würde, anstatt den ganzen Tag in der Stadt herumzustreifen! Aber bisher hatte er weder mit Kronwyler gesprochen noch einen Gedanken daran verschwendet, wie es mit dem Seidenunternehmen weitergehen sollte.
Ein wenig enttäuscht bemerkte Paulina, dass Toscani sie nicht mehr ansah. Er hatte sich zu Althoff hinübergebeugt.
«Es ist von größter Wichtigkeit, dass die Seidenfabrikation wieder in Gang kommt», sagte er auf Deutsch zu dem Bürgermeister.
«Mir ist nicht ganz klar, wie das vonstattengehen soll», erwiderte Althoff stirnrunzelnd. «Zwar planen einige der emigrierten Fabrikanten zurückzukehren, aber es geht ihnen mehr um die Sicherung ihres Besitzes als um eine Wiederaufnahme ihrer Produktion.»
«Die Stadt wird die hohen Kontributionen nicht lange tragen können, wenn wir die Wirtschaft nicht vorantreiben», gab Toscani zu bedenken. «Und das ist in Crefeld nun einmal vorrangig die Seidenindustrie. Die Arbeiter verarmen immer mehr, und die Fachleute, die es eigentlich in der Stadt zu halten gilt, werden abwandern.»
«Ich bin mir des Problems durchaus bewusst», sagte Althoff zerknirscht. «Leider bin ich kein Kaufmann und kann Ihnen nicht sagen, wie man dem Ganzen abhelfen kann.»
«Vielleicht kann ich es Ihnen erklären», ergriff Paulina das Wort. «Die Hauptschwierigkeiten der Fabrikanten bestehen in der Einfuhr der Rohseide und der augenblicklich nicht mehr vorhandenen Sicherstellung des Absatzes.»
Althoff und Toscani glotzten sie an wie zwei Karpfen.
Toscani fasste sich als Erster. «Es ist höchst interessant, gnädige Frau, wie sich in Ihrer Familie die Zuständigkeiten verteilen. Ihr Gatte mag zwar ein vorzüglicher Diplomat sein, aber dass er sich nicht zum Kaufmann eignet, haben selbst wir Verwaltungsleute begriffen. Umso erstaunter bin ich, dass es bei den verbliebenen von Ostrys doch jemanden zu geben scheint, der sich in Handelsgeschäften auskennt.»
«Leider lässt sich das Problem der Rohseidenbeschaffung nicht so ohne weiteres lösen», fuhr Paulina eifrig fort. «Solange Preußen und Frankreich sich im Krieg befinden, sind wir von den bisherigen Einfuhrwegen über den Rhein abgeschnitten.»
«Kann man die Rohseide nicht anderweitig beschaffen?», fragte Toscani.
Seine mehr oder weniger unbedarfte Frage brachte Paulina ihr Gespräch mit Homberg in Erinnerung. Conrad von Ostry hatte in alter Verbundenheit mit seinen Vorfahren immer Kontakte zu französischen Kaufleuten gepflegt. Wäre dies nicht der Zeitpunkt, diese wieder aufleben zu lassen?
«Vielleicht bietet sich durch den allgemeinen Umbruch die Möglichkeit, neue Handelswege zu erschließen», antwortete sie.
«Es ist beinahe schade, dass Damen sich im Allgemeinen nicht unternehmerisch betätigen», stellte Toscani fest.
Althoff war empört. «Was reden Sie da? Eine Frau ist dazu gar nicht in der Lage!»
Toscani fixierte Paulina mit zusammengekniffenen Augen.
«Wenn Sie sich da mal nicht täuschen, mein Lieber!», sagte er und grinste Paulina an, als hätte er eine Vorahnung künftiger Entwicklungen. «In Zeiten wie diesen sind gewohnte Regeln außer Kraft gesetzt. Gegenwärtig hat allein derjenige Erfolg, der die Gunst der Stunde zu nutzen weiß.»
«Wer ist eigentlich dieser Toscani?», fragte Paulina ihren Gatten, als
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