Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rauen
Vom Netzwerk:
vorne eines hatte. Mittels einer Kurbel trieb der Mann das Gefährt an und rollte auf Paulina zu. Seine Beine standen leblos auf einer Art Trittbrett. Der Rumpf verharrte in seitlich abgeknickter Haltung, die auch ein stützendes Kissen nicht gänzlich zu regulieren vermochte.
    Der schauerliche Mann brachte sein Gefährt vor Paulina zum Stehen und blickte zu ihr auf. Ein paar Sekunden lang betrachtete er sie abwägend, dann entspannten sich seine Gesichtszüge mit einem Mal.
    «Seien Sie gegrüßt, Madame!», sagte er und begann, geradezu diabolisch zu grinsen. «Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, aber Sie haben noch etwas gut bei mir.»

    «Sie kennen diesen Volksrepräsentanten?», fragte Pierre und legte geräuschvoll sein Besteck zur Seite.
    Die Damen von Ostry hatten aufgehört zu essen und wechselten unbehagliche Blicke.
    Paulina spießte seelenruhig eine Bohne auf ihre Gabel. «Ja. Ich bin diesem Herrn vor einigen Jahren in Straßburg begegnet. Es war während meiner Zeit als Gesellschafterin am Hof von Hessen-Darmstadt. Er lebte im Haus einer Tante, die sich seiner angenommen hatte. Offenbar hat er es während der Revolution zu etwas gebracht.»
    «Was im Hinblick auf seine körperlichen Beeinträchtigungen sehr erstaunlich ist», fügte Pierre an.
    «Noch erstaunlicher ist dies angesichts der Tatsache, dass er früher dem französischen Hochadel angehörte. Er hat am Hof von Versailles verkehrt.»
    «Die Bekehrten sind die gefährlichsten», bemerkte Frau von Ostry leise, als hätte sie Angst, dass der unheimliche Hausgast sie durch die Wände hören könnte. «Und dieser hier scheint ein besonderer Wüstling zu sein. Jedermann in Crefeld fürchtet ihn.»
    «Althoff hat sich rundweg geweigert, etwas gegen ihn zu unternehmen», berichtete Pierre. «Mit den Generälen komme er gut aus, aber dieser Longeaux sei ein wahrer Teufel. Selbst seine eigenen Leute fürchten ihn.»
    Frau von Ostry seufzte herzzerreißend. «Schreckliche Zustände herrschen in unserem schönen Crefeld! Wir werden Conrad und Jean beerdigen und sofort wieder abreisen. Ich möchte nicht mit diesem Scheusal unter einem Dach leben. Solange die Revolutionäre hier die Macht haben, werde ich keinen Fuß mehr in diese Stadt setzen! Hast du Althoff gefragt, wie wir unseren Besitz schnellstmöglich veräußern können, Pierre? Und was ist mit der Färberei und Erldyk?»
    Pierre runzelte die Stirn. «Nun, das wird schwierig werden in diesen unsicheren Zeiten. Althoff meinte, dass man uns nicht viel für die Häuser bezahlen wird. Die reichen Bürger der Stadt haben an den erneuten Kriegsauflagen zu tragen, und den Armen fehlt es selbst am Nötigsten. Jeden Tag schaffen die Franzosen ungeheure Mengen an Lebensmitteln, Kleidern und anderen Dingen aus der Stadt, um ihre Truppen zu versorgen. Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig, um unsere Besitztümer zu verkaufen.»
    «Das kümmert mich alles nicht. Ich will nur von hier fort. Dann setzen wir eben einen Verwalter ein», bestimmte Frau von Ostry.
    «Wenn wir die Stadt wieder verlassen, werden die Franzosen unverzüglich unsere Häuser beschlagnahmen», erwiderte Pierre. «Das geht den übrigen emigrierten Fabrikanten ebenso. Sie sind deswegen allesamt schon zurückgekehrt oder planen, es in naher Zukunft zu tun.»
    «Ich werde mit meinem Vetter Kronwyler darüber reden.»
    «Nun, auch er hat vor, in Crefeld zu bleiben. Er denke nicht im Traum daran, den Franzosen sein schönes Palais zu überlassen, hat er gesagt. Sein Bruder und er wollen versuchen, die Seidenproduktion wieder in Gang zu bringen.»
    «Ohne uns?», rief Paulina entrüstet. «Das dürfen Sie nicht zulassen, Pierre!»
    Es war ihrem Gatten deutlich anzusehen, was er von ihrem Einwand hielt. «Meine Liebe, Ihnen dürfte hinlänglich bekannt sein, dass ich mich mit der Seidenproduktion nicht auskenne.»
    «Nennen Sie das Kind ruhig beim Namen!», fuhr Paulina ihn wütend an. «Sie möchten lieber nach Berlin zurückfahren. Das behagt Ihnen weitaus mehr, als sich um das zu kümmern, was Ihr Vater mühsam aufgebaut hat, habe ich recht?»
    «Und wenn schon! Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich mich für das Kaufmannsdasein weder interessiere noch eigne. Da werde ich bestimmt nicht so vermessen sein und mich ausgerechnet jetzt darin versuchen!»
    «Schweigen Sie – alle beide!», rief Frau von Ostry und schlug die Hände vors Gesicht. «Mein seliger Gatte und mein Sohn sind noch nicht einmal unter der Erde! Bis zum

Weitere Kostenlose Bücher