Die Seidenbaronin (German Edition)
Bruders, des Barons von Gralitz-Boltenhusen», erklärte die junge Frau. «Als einzige Erbin habe ich ihr Schloss in Westfalen übernommen. Ist es wahr, dass Sie Frau von Herrenheim kannten?»
Diese Frage veranlasste den Generalmajor, von seinem Pferd abzusteigen. Er baute sich vor Paulina auf und musterte sie streng.
«Was wollen Sie von mir? Falls Sie den Versuch einer Erpressung ins Auge gefasst haben, muss ich Ihnen sagen, dass Sie damit einige Jahre zu spät sind.»
«Erpressung?», fragte Paulina verblüfft. «Womit könnte ich Sie erpressen, Herr Baron? Nichts liegt mir ferner.»
Er blieb misstrauisch. «Warum fragen Sie mich dann nach der Baronin Herrenheim? Was machen Sie in Gottes Namen an einem solch grässlichen Morgen hier draußen? Sie wollen doch wohl nicht mit mir über alte Zeiten plaudern!»
Paulina merkte plötzlich, dass sie vor Kälte schlotterte. Oder war es vielleicht die Anspannung, unter der sie seit Tagen litt?
«Würden Sie mir zugestehen, dass ich Ihnen die Antwort in meiner Kutsche gebe?», fragte sie zaghaft. «Ich friere entsetzlich, und im Wagen ist es geschützter.»
Von Hammerstein seufzte tief. «Man wird mich, den Kommandeur einer ganzen Armee, einen Narren schimpfen, dass ich die Torheit begehe, in Zeiten wie diesen zu einer wildfremden Frau in die Kutsche zu steigen. Aber – der Herr möge mir verzeihen – ich bin neugierig darauf, was Sie mir mitzuteilen haben!»
Paulina führte den Baron zu ihrem Wagen, der hinter dem Holzkreuz stand. Ihr Kutscher Franz, der mit seinem hochgeschlagenen Kragen und dem tief ins Gesicht gezogenen Hut wie ein Wegelagerer aussah, blickte ihnen mit finsterer Miene entgegen.
Von Hammerstein band sein Pferd an einen Baum und half Paulina, in den Wagen zu steigen. Als sie sich im Halbdunkel der Kutsche gegenübersaßen, maß der Baron sie mit forschendem Blick. «Viele Jahre lang hat niemand etwas von meiner Bekanntschaft mit der Baronin Herrenheim geahnt. Wie kommt es, dass ausgerechnet so lange nach ihrem Tod eine entfernte Verwandte davon Kenntnis erhält?»
«Es gibt in Blommersforst eine uralte Magd, die davon wusste», antwortete Paulina. «Sie war zufällig zugegen, als ich mit meinem Kutscher den Wunsch erörterte, Sie zu sprechen, Herr Generalmajor. Die gute Frau riet mir, mich beim Ersuchen um eine Audienz auf die Baronin Herrenheim zu berufen.»
«Weiß Ihre Magd auch, was mich mit der Baronin Herrenheim verband?», fragte von Hammerstein.
«Man wusste in Blommersforst all die Jahre Bescheid über Ihre Beziehung mit der Tochter der alten Baronin.»
Von Hammerstein wirkte ehrlich überrascht.
«Weiber können eben einfach den Mund nicht halten», brummte er schließlich. «Wenn Sie, gnädige Frau, aber nicht hier sind, um Ihr Wissen gegen mich zu verwenden – was hat Sie dann bewogen, mich auf solch außergewöhnliche Art und Weise aufzusuchen?»
Paulina musste sich zusammennehmen, um ruhig zu bleiben. Nach wochenlangem Hoffen und Bangen hatte sie nun endlich jemanden vor sich, der ihr vielleicht Auskunft über Christian geben könnte, und sie wollte sich diese Gelegenheit nicht durch unbedachte Worte verderben.
«Da auch Sie die Verdrießlichkeiten einer geheimen Liaison zu kennen scheinen», begann sie also vorsichtig, «werden Sie Verständnis dafür haben, dass ich aus ähnlichen Gründen nicht in Ihrem Schloss vorsprechen wollte.»
«Ich schließe daraus, dass Sie einen heimlichen Liebsten haben und ich diesen Mann kenne. Es wird sich doch wohl nicht um meinen Enkel handeln?»
«Nein, nein, Herr Baron», beruhigte Paulina ihn. «Mein Liebster ist ein Premierleutnant Ihrer hannoverschen Armee.»
Von Hammerstein schmunzelte verschwörerisch. «Geschmack hat er jedenfalls, dieser Premierleutnant, aber das hätte ich auch von einem meiner Männer nicht anders erwartet.»
«Die Sache ist leider nicht ganz unkompliziert. Sein Vater ist ein hoher Minister am kurfürstlichen Hof von Hannover und strikt gegen die Verbindung zwischen seinem Sohn und mir.»
«Nun, es sollte Mittel und Wege geben, den gestrengen Vater zu umgehen. Wissen Sie denn nicht, dass heimliche Affären am Hof von Hannover gang und gäbe sind? Die heutige Jugend hat wohl keine Phantasie mehr!»
Paulina zwang sich zu einem Lächeln. «Mein Problem ist ein anderes, Herr Baron. Ich weiß nicht, wo mein Liebster ist! Er scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Sein letzter Brief kam aus einem Feldlager in Oldenburg. Seit Wochen warte ich auf eine
Weitere Kostenlose Bücher