Die Seidenbaronin (German Edition)
herab, der jungen Frau ein in Windeln gewickeltes Bündel in den Arm zu legen. Die vor Rührung weinende Magd kam mit dem zweiten, und Paulina betrachtete staunend ihre beiden Kinder.
Das Schicksal hatte sie also doch nicht zur Rechenschaft gezogen. Sie war im Gegenteil nicht nur mit einem, sondern gleich mit zwei kleinen Wundern beschenkt worden. Ein Gefühl unendlicher Dankbarkeit erfüllte Paulina.
Doch die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, waren keine Tränen der Freude. Ganz plötzlich überkam sie eine tiefe Verzweiflung. Die Damen von Ostry, die gerade zaghaft ihre Köpfe zur Tür hereinsteckten, um sich nach dem Befinden der Wöchnerin zu erkundigen, eilten erschrocken ans Bett der jungen Frau, als diese anfing, bitterlich zu weinen.
Auf die unverzüglich nach Paris gesandte Eilbotschaft kam bald die Antwort des frischgebackenen Vaters, dass er sich außerordentlich über die Geburt seiner Kinder freue. Etwas erstaunt sei er über die verfrühte Niederkunft gewesen, aber man habe ihm gesagt, dass dies bei Zwillingen nicht ungewöhnlich sei. Selbstverständlich dürfe Paulina entscheiden, welche Namen sie den Kindern geben wolle, allerdings habe er die Bitte, dass es französische sein sollten. Falls sein Wunsch von Interesse sei, würde er Frédéric für den Jungen und Camille für das Mädchen vorschlagen. In seinem Brief schwärmte Pierre geradezu von Paris.
«Diese Stadt ist eine Offenbarung», schrieb er. «Die Menschen möchten möglichst rasch die Schrecken der Jakobinerherrschaft vergessen. Man will endlich wieder leben, und das heißt vor allem, Luxus und Kunst genießen. Ich habe einige Anstrengungen in Sachen unseres Seidenhandels unternommen, um den Markt von Paris zu erobern.
Dieser Tage habe ich in einem Salon einen interessanten jungen Mann kennengelernt, der sehr zwiespältige Meinungen in der Pariser Gesellschaft hervorruft. Er stammt aus Korsika und hat es aufgrund seiner militärischen Erfolge trotz seiner Jugend schon zum Brigadegeneral gebracht. Beim ersten Anblick missfiel er mir, denn er gab eine eher jämmerliche Erscheinung ab: unsicher und linkisch, mit ungekämmtem Haar, ohne Handschuhe und mit schlecht geputzten Stiefeln. Später fühlte ich mich jedoch seltsam angezogen und beinahe fasziniert von ihm. Obwohl man ihn gerade durch eine Versetzung zur Infanterie degradiert hat, schien er dadurch nicht im mindesten eingeschüchtert. Ich bin überzeugt davon, dass dieser Mann noch von sich hören lassen wird. In ihm schlummert eine Kraft, deren Ausbruch einem gewaltigen Erdbeben gleichen muss. Er macht auf mich den Eindruck, als lauere er wie ein Raubtier auf den Augenblick, in dem er zuschlagen kann. Napoleon Bonaparte – diesen Namen wird man sich merken müssen!
Meine Liebe, ich bin untröstlich, dass ich meine Kinder nicht so bald sehen kann, wie ich möchte. Aber meine Geschäfte halten mich noch ein wenig in Paris fest. Ich wünsche Ihnen alles Gute und grüße Sie herzlich, Ihr ergebener Gatte Pierre.»
Ihn werden auch noch andere Dinge in Paris festhalten, dachte Paulina ein wenig säuerlich, doch dann siegte ihr Sinn fürs Pragmatische. Immerhin hatte Pierre sich abgesehen von seinen Vergnügungen auch nützlich gemacht. Sie beschloss, ihr Wochenbett vorzeitig zu verlassen und schleunigst die in Paris geknüpften Verbindungen zu festigen.
Die Zwillinge wurden auf die Namen Frédéric und Camille getauft. Zur Unterstützung der jungen Mutter kamen zwei Ammen aus den umliegenden Dörfern ins Haus.
Kurz nachdem sie ihr Wochenbett verlassen hatte, ließ Longeaux Paulina zu sich rufen.
«Ich werde nach Paris zurückkehren, Bürgerin Ostry», kündigte er an. «Meine Aufgaben in Crefeld sind erfüllt, und man braucht mich nun in der Hauptstadt.»
Paulina verbarg ihr Bedauern nicht. «Ich werde Sie vermissen, Monsieur Longeaux. Mit wem soll ich in Zukunft meine Kämpfe austragen?»
«Sie werden schon einen anderen geeigneten Widerstreiter finden, dessen bin ich sicher», sagte Longeaux, im Gegensatz zu der jungen Frau bemüht, sich seine Rührung nicht anmerken zu lassen. «Im Übrigen sind Sie ja bereits dabei, Ihre Fühler in die Richtung auszustrecken, die auch ich einschlagen werde. Wir werden also vermutlich bald wieder voneinander hören. Ich erwarte Sie in Paris, Madame!»
Im September gingen die in der Ebene gesammelten französischen Truppen unter Verletzung der preußischen Grenzlinie über den Rhein. Spätestens jetzt wurde auch den letzten
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