Die Seidenbaronin (German Edition)
weitere Nachricht. Ich schickte sogar meinen Kutscher ins Feldlager, doch es war mittlerweile aufgelöst worden. Die Leute dort sagten, dass die Regimenter und Offiziere in ihre Heimat zurückgekehrt seien. Wenn ich wenigstens wüsste, wohin er verlegt wurde …»
Von Hammerstein hob seine Augenbrauen. «Wissen Sie, wie groß die hannoversche Armee war, gnädige Frau? Sie glauben doch wohl nicht, dass ich über die Aufenthaltsorte all meiner Offiziere unterrichtet bin?»
«Vielleicht nicht über den Aufenthaltsort all Ihrer Offiziere», räumte Paulina ein. «Aber Sie werden doch sicher Kenntnis darüber haben, wo sich Hauptmann Scharnhorst und einer seiner engsten Vertrauten, der Premierleutnant von Bahro, befinden.»
«Von Bahro ist es also! Ich habe mich immer gewundert, warum ein Mann wie er noch nicht geheiratet hat.»
Paulinas Herz begann, wie wild zu klopfen. Von Hammerstein schien Christian gut zu kennen. Nun würde sie sicher endlich erfahren, wo er war und warum er sich noch nicht bei ihr gemeldet hatte.
«Es mag beinahe ein wenig albern klingen, Herr Baron, aber Sie sind meine letzte Hoffnung. Ich lebe im französisch besetzten Rheinland und bin eigens nach Westfalen gekommen, um den Premierleutnant zu sehen. Können Sie mir sagen, wohin Herr von Bahro nach der Auflösung des Feldlagers verlegt wurde?»
«Ich habe ihn zusammen mit Scharnhorst nach Hannover geschickt», berichtete der Generalmajor. «Er war dort mit wichtigen militärischen Aufgaben betraut.»
«Herr von Bahro hat mir geschrieben, dass er Urlaub nehmen wollte», wandte Paulina ein.
«Urlaub? Davon weiß ich nichts. Sonderbar – zu mir hat der Premierleutnant ausdrücklich gesagt, dass er derzeit keinen Urlaub wünsche.»
Paulinas Gedanken überschlugen sich. «Aber das kann nicht möglich sein! Er wollte doch zu mir kommen … Moment mal! Sie sagten gerade, dass Herr von Bahro in Hannover mit wichtigen militärischen Aufgaben betraut war .» Voller Hoffnung, in die sich jedoch eine böse Vorahnung mischte, sah sie den Baron an. «Ist er das jetzt nicht mehr?»
Von Hammersteins Gesicht nahm einen bedauernden Zug an.
«Ich fürchte, gnädige Frau, dass ich keine guten Nachrichten für Sie habe. Premierleutnant von Bahro hat sich für einen geheimen Auftrag zur Verfügung gestellt, über den ich nicht mit Ihnen sprechen kann. Fast hatte ich den Eindruck, als dränge es ihn geradezu, von hier fortzukommen. Es wird eine Weile dauern, bis er zurückkehrt.»
«Wohin ist er denn um Himmels willen gefahren?», rief Paulina entsetzt aus.
Alles um sie herum kam ihr plötzlich unwirklich vor: die triste Herbststimmung, der nebelige Wald, die Gegenwart des berühmten Feldherrn, an den sie sich in ihrer Not auf so ungewöhnliche Weise gewandt hatte. Wochenlang hatte sie in Blommersforst vergeblich auf einen Brief von Christian gewartet, hatte ihren Kutscher ins Feldlager nach Oldenburg und einen Eilkurier nach Boltenhusen geschickt. Nichts hatte sie unversucht gelassen, um etwas über Christian in Erfahrung zu bringen, aber niemand hatte ihr etwas über seinen Verbleib sagen können. Und nun war sie in ihrer großen Verzweiflung sogar zum Stammsitz des Generalmajors von Hammerstein nach Loxten gefahren und hatte ihn wie eine Diebin im Wald abgepasst.
Sollten all ihre Bemühungen umsonst gewesen sein?
Generalmajor von Hammerstein öffnete den Verschlag der Kutsche und erhob sich, um auszusteigen. «Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann, gnädige Frau. Ich hätte gerne noch ein wenig mit Ihnen geplaudert, aber ich werde zum Frühstück erwartet.»
«Warten Sie!», hielt Paulina ihn zurück. «Warten Sie! Ich flehe Sie an, Herr Baron! Verraten Sie mir, wohin Sie Herrn von Bahro geschickt haben. Ich muss ihn unbedingt sehen!»
Einen Fuß schon auf der Trittstufe, hielt von Hammerstein inne und drehte sich zu der jungen Frau um.
«Darf ich Ihnen einen Rat geben? Fahren Sie nach Blommersforst zurück und schlagen Sie sich Herrn von Bahro aus dem Kopf. Für Sie als Bürgerin eines französisch besetzten Gebietes ist es gefährlich, ihm zu folgen. Frankreich befindet sich im Krieg mit dem Land, in das ich den Premierleutnant geschickt habe. Herr von Bahro ist auf dem Weg nach England.»
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Teil 3
Die Senatorin von Paris
Kapitel 38
Crefeld, November 1803
Der Abend war schon weit fortgeschritten, als Paulina die Feder aus der Hand legte. Zufrieden löschte sie die Tinte auf dem Schreiben, das sie gerade
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