Die Seidenbaronin (German Edition)
steckte in diesen prachtvollen Mänteln! Monatelang hatten unzählige fleißige Hände in Crefeld dafür gesorgt, dass die Senatoren derart elegant zur Kaiserkrönung erscheinen konnten. Mehrere Male war eine Lieferung erst buchstäblich in letzter Minute in Paris eingetroffen. Einmal war die Frachtkutsche von Räubern überfallen worden, und man hatte ganze Nächte durcharbeiten müssen, um die Ware schnell zu ersetzen. Die letzte Lieferung hatte Terbrüggen sogar persönlich begleitet, damit auch ja nichts mehr schiefging.
Der alte von Ostry wäre sicher stolz auf Paulina gewesen.
Und nun war er also da, der große Tag, auf den die Pariser seit Wochen gespannt warteten. Schon seit dem frühen Morgen drängten die einfachen Bürger in die Kathedrale Notre-Dame. Wer für neun Francs einen Platz ergattert hatte, verteidigte ihn wie ein Bollwerk. Weitaus besser hatten es die Würdenträger der Stadt mit ihren reservierten Plätzen, darunter auch Paulina und Pierre. Die Kutsche der von Ostrys traf erst um kurz vor neun Uhr bei der Kirche ein. Während Pierre sich zu den anderen Senatoren gesellte, nahmen Paulina und ihre älteste Tochter Anna in den Sitzrängen Platz.
Anna konnte vor lauter Aufregung kaum still bleiben. Die Krönung war ihr erster Auftritt in der Pariser Gesellschaft, und sie hatte diesem Tag lange entgegengefiebert.
Die Zeremonie begann mit dem Einzug des Papstes. In Begleitung einer Ehrengarde durchschritt Pius VII. würdevoll die Kathedrale, und angesichts seiner prachtvollen Erscheinung war man gewillt zu vergessen, dass er nur unter bestimmten Zugeständnissen an der Krönung teilnahm. Aber wen interessierten jetzt schon die politischen Querelen im Vorfeld? Versonnen lauschte man dem höchsten kirchlichen Würdenträger, der sich anschließend auf dem eigens für ihn vorgesehenen Thron niederließ.
Während der darauffolgenden Messe konnten viele ihre Ungeduld kaum noch zügeln. Endlich kündigten zwei Orchester und ein über vierhundertköpfiger Chor die Ankunft des Kaiserpaars an. Die Vorhut bildete eine Karawane von Pagen, Dienern, Stall- und Zeremonienmeistern. Marschall Murat trug die Krone der Kaiserin auf einem Kissen vor sich her. Es folgte Joséphine in einem weißen Seidenkleid. Bei ihrem Anblick ging ein Raunen durch das Publikum. Ihre lange Schleppe wurde von den Schwestern, der Schwägerin und der Adoptivtochter des Kaisers getragen. Kammerherren hielten wiederum die Schleppen der Damen.
Dann kam der Kaiser. Napoleon glich in seinem golden bestickten, purpurfarbenen Mantel einem römischen Imperator. Erhaben durchschritt er das Kirchenschiff und sprühte geradezu vor Willenskraft und Ehrgeiz. Mehrere Marschälle trugen die Insignien seiner Macht: Krone, Schwert und Reichsapfel.
Schließlich war der große Moment da.
Napoleon nahm die Krone, hielt sie in einer bedeutungsvollen Geste hoch und setzte sie sich aufs Haupt. Dann stellte er sie wieder auf dem Altar ab und legte sich einen goldenen Lorbeerkranz aufs Haar.
«Mein Gott, er lässt aber auch nichts aus!», murmelte Paulina und erntete einen erzürnten Seitenblick ihrer Tochter.
Mittlerweile hatte Joséphine sich auf die Altarstufen gekniet. Napoleon nahm die Krone der Kaiserin und berührte damit kurz sein eigenes Haupt, bevor er sie Joséphine aufsetzte. Gemeinsam schritten Napoleon und Joséphine durch das Kirchenschiff zu den Thronen. Der Papst spendete Kaiser und Kaiserin seinen Segen.
Weithin war die Ankündigung des höchsten Herolds zu hören:
«Der glorreichste und erhabenste Kaiser Napoleon, Kaiser der Franzosen, ist gekrönt und eingethront; es lebe der Kaiser!»
Das Publikum brach in Jubel aus, die Glocken begannen zu läuten, Kanonendonner zeigte den Vollzug der Krönung an.
Das Kaiserpaar zog aus der Kirche aus. In einer Rundfahrt durch die Stadt würde es nun die Huldigung des Volkes entgegennehmen.
Man war sich einig, dass es eine großartige Zeremonie gewesen sei. Zu großartig, meinten manche, und in vielen Gesichtern war ein gewisser Unmut über so viel Pracht und Pomp abzulesen.
Beim Verlassen der Kirche wurde Paulina von fremden Menschen angesprochen, die sie überschwänglich begrüßten und so taten, als kenne man sich schon seit Jahren.
«Wir würden uns freuen, Sie bei unserem nächsten Fest begrüßen zu dürfen», hieß es, und: «Machen Sie uns die Freude, unseren bescheidenen Salon zu zieren. Wir empfangen immer mittwochs.»
Man legte ihr außerdem nahe, ihre Tochter alsbald in die
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