Die Seidenbaronin (German Edition)
«Habe ich das? … Und Sie? Hat es Ihnen Vergnügen bereitet, der Kaiserkrönung beizuwohnen? Man darf gespannt sein, was Napoleon unter seinem prunkvollen Mantel so alles verbirgt.»
Anna zog ihre Mutter am Ärmel. «Kommen Sie, Maman, lassen Sie uns nach Hause gehen!»
«Ihren Zynismus haben Sie jedenfalls nicht verloren, Herr Graf», sagte Paulina. «Auch wenn Sie noch nicht ganz in der neuen Zeit angekommen sind.»
Seltsamerweise schien Longeaux sich nicht angegriffen zu fühlen. Er lächelte sogar. «Vielleicht bin ich mehr angekommen, als Sie es denken, Madame.»
«Ich verstehe, Herr Graf. Sie werden nicht gezögert haben, sich eine einflussreiche Stellung zu verschaffen. Jedenfalls würde ich mich freuen, Sie demnächst in unserem Palais als Gast begrüßen zu dürfen!»
Paulinas Einladung wurde von ihrer Tochter mit einem entsetzten Blick quittiert.
«Wir werden sehen», antwortete Longeaux ausweichend. «Ich glaube, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Sie meine Intervention benötigen. Nehmen Sie dennoch einen Rat von mir an? Kosten Sie es aus, auf dem Gipfel der Träume zu sein! Aber verlieren Sie nicht die Wirklichkeit aus den Augen! Und bevor Sie gehen, habe ich noch eine Bitte an Sie, liebe Freundin!» Sein Blick bekam etwas Rätselhaftes. «Passen Sie gut auf sich auf!»
Paulina gab ihrer Tochter nach, die sich immer noch mühte, sie zurück auf die Straße zu zerren.
«Was sollte mir jetzt schon noch geschehen?», rief sie Longeaux über die Schulter hinweg lachend zu, bevor sie mit Anna ins winterliche Paris eintauchte.
Kapitel 44
Paris, Juni 1807
Die Kutsche des Grafen Ostry hielt vor dem Palais in der Rue de Joubert. Es war eine warme Sommernacht, und ganz Paris schien noch auf den Beinen zu sein. Aus einem Haus gegenüber wehten Musikklänge herüber. Hinter seinen erleuchteten Fenstern zeichneten sich die Silhouetten von tanzenden Menschen ab.
Paulina bemerkte erstaunt, dass Pierre hinter ihr aus dem Wagen stieg. «Was ist los, mein Lieber? Fahren Sie heute nicht weiter zu … wie heißt doch gleich Ihre derzeitige Mätresse?»
Pierre unterdrückte ein Gähnen. «Wenn ich ehrlich bin, habe ich Sehnsucht nach einem Bett, und zwar nach meinem eigenen. Morgen ist eine wichtige Sitzung des Senats.»
«Sie werden eben älter, Herr Graf!», spöttelte Paulina, während sie das Haus betraten. «Zudem mussten Sie auf Ihre reiferen Tage auch noch erfahren, was das Wort ‹Arbeit› bedeutet.»
«Glücklicherweise hatte ich vorher keine Ahnung, welche Verpflichtungen das Amt eines Senators mit sich bringt», brummte Pierre. «Finden Sie eigentlich wirklich, dass ich seit Beginn meiner Amtsausübung älter geworden bin, Madame?»
Paulina drehte sich gelangweilt zu ihm um. «Jünger sind Sie jedenfalls nicht geworden – das bringt das Leben nun einmal zwangsläufig mit sich. Falls es Sie jedoch beruhigt – Sie sehen immer noch fabelhaft aus!»
Er lächelte zufrieden. «Wo wollen Sie denn jetzt noch hin?», fragte er, als Paulina sich auf den Weg in ihr Arbeitszimmer machte.
«Ich möchte noch ein paar Briefe durchsehen», antwortete sie über die Schulter.
«Um diese Uhrzeit? Hat das nicht Zeit bis morgen? Was haben Sie nur immer mit Ihren Geschäften? Das kann doch Cornelius in Crefeld erledigen! Wir sind mittlerweile so wohlhabend, dass Sie es nicht mehr nötig haben, jetzt noch …»
Die Belehrungen ihres Gatten im Ohr, betrat Paulina ihr Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich. Ihr aufmerksamer Diener hatte bereits die Lichter angezündet. Er wusste genau, dass sie nach einem in Gesellschaft verbrachten Abend gerne noch ein Weilchen arbeitete. Sie liebte diese einsamen Nachtstunden, in denen sich eine wohltuende Stille über das schlafende Haus gelegt hatte und sie nicht durch die Unruhe des Alltags gestört wurde.
«Die Nacht ist die Freundin der Könige», sollte Ludwig XIV., der große Sonnenkönig, einmal gesagt haben.
Und die Freundin der Kauffrauen, dachte Paulina schmunzelnd.
Mit einem Seufzer setzte sie sich an ihren Schreibtisch. Sie hatte gerade ihr Rechnungsbuch aufgeschlagen, als es zaghaft an der Tür klopfte.
«Wollten Sie nicht schlafen gehen?», rief Paulina gereizt.
Senator oder nicht – Pierre war im Grunde immer ein großer Junge geblieben. Wäre er doch nur zu seiner Geliebten gefahren, anstatt ihr auf die Nerven zu gehen!
Die Tür öffnete sich, und ein übermüdeter Page trat ein.
«Frau Gräfin, ein Herr wartet schon seit Stunden auf Sie
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