Die Seidenbaronin (German Edition)
eines Bauches bekommen. In Paris hatte man erzählt, der Kaiser habe sich in Warschau in eine polnische Gräfin verliebt und mit ihr in einem westpreußischen Schloss gelebt.
Inzwischen war der russische Zar aus dem Boot gestiegen und umarmte Napoleon mit überschwänglicher Geste. Gefolgt von dem ein wenig steifen Friedrich Wilhelm verschwanden die beiden Herrscher in dem weißen Haus.
Paulina ließ ihren Blick suchend über die Menge der am Ufer stehenden Offiziere und Adeligen schweifen. Sie hatte Christian nicht mehr gesehen, seit sie am Abend zuvor nach fast dreiwöchiger Reise in Piktupönen eingetroffen waren, einer kleinen Ortschaft gegenüber von Tilsit, am anderen Ufer der Memel. Er war sofort nach der Ankunft zu General Scharnhorst geeilt. Paulina war im Haus einer verwitweten Bäuerin untergekommen, die in ärmlichen Verhältnissen lebte, aber als verschwiegen galt.
Sie hatten von Paris aus eine wahre Höllenfahrt hinter sich, bei der Paulina, nur von ihrem Leibdiener und dem Kutscher Franz begleitet, viele Stunden täglich in ihrer Kutsche durchgerüttelt wurde, während Christian und die zu seiner Unterstützung mitgereisten Männer den Wagen zu Pferd eskortierten. Kaum dass man an einer Poststation eine kurze Rast eingelegt und die Pferde gewechselt hatte, ging die wilde Reise schon weiter. In den wenigen Stunden der Ruhe, die man Paulina in irgendeiner schäbigen Herberge gönnte, wälzte sie sich schlaflos auf ihrem unbequemen Lager hin und her. Mehr als einmal war sie kurz davor, nach Paris umzukehren, doch der Gedanke, sich vor Christian diese Blöße zu geben, hielt sie immer wieder davon ab.
Das Land war vom Krieg gebeutelt. Kein Landstrich, der nicht von Kampfhandlungen, Truppendurchmärschen und Plünderungen heimgesucht worden war. Als die Reisenden über die Weichsel kamen, wurden die vorher vereinzelten Gerüchte zur traurigen Gewissheit. Die entscheidende Schlacht hatte mittlerweile stattgefunden. Russen und Preußen waren bei Friedland in Ostpreußen von den Franzosen vernichtend geschlagen worden. Überall bot sich ein Bild der Verwüstung. Dörfer, Felder und Wälder waren dem Erdboden gleichgemacht worden, Straßen vom Durchzug der Truppen breit ausgetreten. Königsberg war durch die Franzosen besetzt worden, die Königin ans äußerste Ende Preußens nach Memel geflohen. Kaiser Napoleon, Zar Alexander und König Friedrich Wilhelm kamen in Tilsit zusammen, um über den Frieden zu verhandeln.
Die eindrucksvolle Inszenierung am preußisch-russischen Grenzfluss Memel, der Paulina an diesem sonnigen Junimittag aus ihrer Kutsche heraus zuschaute, erschien ihr wie ein Hohn angesichts des Elends, das ihr in den letzten Tagen begegnet war. Als die drei Regenten wieder aus dem festlich geschmückten Haus traten und sich unter grandiosen Freundschaftsbezeigungen verabschiedeten, hatte es den Anschein, als gingen sie in großer Eintracht auseinander.
Napoleon half dem Zaren, in sein Boot zu steigen, und Friedrich Wilhelm bekam immerhin ein respektvolles Nicken mit auf den Weg. Die Barken fuhren noch ein Stück nebeneinander her, bevor jede zu ihrem Ufer abdrehte. An beiden Flussseiten brachen die wartenden Soldaten, Offiziere und anderen Zuschauer in laute Jubelrufe aus.
«Wenn man die drei miteinander sieht», bemerkte Leutnant Tifflick, «sollte man nicht meinen, dass sie sich vor wenigen Tagen noch erbittert bekämpft haben.»
«Napoleon bezeugt dem Zaren eindeutig mehr Ehrerbietung als dem preußischen König», stellte Paulina fest. «Ich nehme an, das A über der Tür steht für Alexander.»
«Das ist richtig, Madame. Die Tür auf der rückwärtigen Seite des Hauses wird übrigens von einem N gekrönt. Ein FW gibt es nicht. Es besteht also kein Zweifel daran, dass Friedrich Wilhelm eher geduldet als eingeladen ist. Er wird derjenige sein, der aus diesen Verhandlungen als großer Verlierer hervorgeht.»
Das preußisch-russische Boot legte am Ufer an, und kurz darauf kamen Alexander und Friedrich Wilhelm mit ihren Begleitern den Weg vom Fluss heraufmarschiert. Der Zar war in ein lebhaftes Gespräch mit einem russischen Würdenträger vertieft, während der König allein und mit düsterer Miene zu seiner Kutsche eilte, einstieg und davonfuhr.
«Ich werde schauen, ob ich Hauptmann von Bahro auftreibe», sagte Tifflick, öffnete den Verschlag und stieg aus dem Wagen. Paulina sah ihm nach, wie er zum Fluss hinunterging.
Sie bemerkte zwei Herren aus dem Gefolge des preußischen Königs,
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