Die Seidenbaronin (German Edition)
die nahe ihrer Kutsche unter einem Baum stehen blieben.
«Nun, von Hardenberg, was haben Sie für einen Eindruck?», fragte der Ältere von beiden, ein betagter Herr in Uniform mit einer scharf gebogenen Adlernase. «Sind die Verhandlungen zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen?»
Als Paulina den Namen Hardenberg hörte, lehnte sie sich zurück und stülpte den Schleier, den sie wohlweislich aufgesetzt hatte, vors Gesicht. Neugierig spitzte sie die Ohren.
Die sonore Stimme des zweiten Herrn erklang. «Mir scheint, dass Napoleon und Friedrich Wilhelm sich nicht besonders mögen. Im Gegensatz dazu verstehen der russische Zar und der französische Kaiser sich ganz ausgezeichnet. Ich vermute, Napoleon fühlt sich durch Friedrich Wilhelm gelangweilt. Nun, immerhin schien mir Ihr Verhältnis zu Marschall Murat ganz passabel zu sein, mein lieber von Kalckreuth.»
«Was nutzt es uns, wenn ich mit dem französischen Unterhändler eine Verständigung erziele, solange unser König sich Napoleon gegenüber so wenig zugänglich zeigt?», erwiderte von Kalckreuth verbittert. «Ob Seine Majestät überhaupt begriffen hat, was auf dem Spiel steht?»
«Falls Napoleon seine Bedingungen durchsetzt, bedeutet das gewaltige Verluste für Preußen.»
«Da Alexander und er sich praktisch schon einig sind, wird sich an den Bedingungen nicht mehr allzu viel ändern. Und mit seiner offenkundigen Feindseligkeit wird unser König beim französischen Kaiser nichts Besseres erreichen können.»
«Wir sollten Königin Luise aus Memel kommen lassen», schlug von Hardenberg vor. «Vielleicht schafft sie es, den Kaiser milder zu stimmen.»
«Ist eigentlich die Gräfin Ostry aus Paris eingetroffen?», fragte von Kalckreuth. «Sie wollten die Dame doch vor einem möglichen Zusammentreffen der Königin mit Napoleon zu Rate ziehen.»
«Ja, Frau von Ostry ist bereits in Piktupönen. Hauptmann von Bahro konnte die Gräfin tatsächlich überreden, uns zu Diensten zu sein.»
«Ich gebe noch einmal zu bedenken, dass die Widersprüchlichkeit dieser Frau eine schlechte Grundlage für derart delikate Verhandlungen ist», brummte von Kalckreuth.
«Frau von Ostry ist eine Jugendfreundin der Königin. Wenn sie Ihrer Majestät in diesen schweren Stunden beistehen kann, dann ist mir ihr Ruf gelinde gesagt egal.»
«Ich weiß nicht, von Hardenberg … Dass man auf eine Frau solch große Hoffnungen setzt … noch dazu eine, der man nachsagt, nur ihre eigenen Interessen zu verfolgen.»
«Tun wir das nicht alle, Herr Generalfeldmarschall?»
Die Stimmen entfernten sich und verstummten schließlich. Die beiden Herren schienen ihren Weg fortgesetzt zu haben.
Der Verschlag der Kutsche wurde aufgerissen. In der Tür tauchte das Gesicht des jungen Tifflick auf.
«Wir fahren ab, Frau Gräfin. Sie werden erwartet.»
Paulina lüftete ihren Schleier. «Erwartet? Von wem?»
«Ich weiß es nicht.» Tifflick zuckte mit den Achseln. «Es scheint sich um eine hohe Persönlichkeit zu handeln.»
«Wo soll dieses Treffen stattfinden?»
«In Piktupönen, gnädige Frau.»
Paulina warf einen letzten Blick auf das Pontonfloß mit dem leinenbedeckten Haus, das verlassen im ruhigen Wasser der Memel wippte. Am gegenüberliegenden Ufer machte die französische Abordnung sich auf den Rückweg nach Tilsit. Die am Fluss in Stellung gegangenen Soldaten zogen ab.
Morgen würde ein erneutes Treffen auf dem Fluss stattfinden.
Was bezweckte Napoleon mit seiner monströsen Inszenierung? Und welche Rolle war Königin Luise in diesem Spektakel zugedacht?
Paulina erstarrte, als sie in dem Herrn, der sie in einem Zimmer des Schulhauses von Piktupönen erwartete, den preußischen König erkannte. Wie mechanisch sank sie in einen tiefen Hofknicks.
Als sie sich wieder aufrichtete und Friedrich Wilhelm zum ersten Mal aus der Nähe betrachtete, vermochte sie sich nur schwerlich vorzustellen, dass die lebhafte und impulsive Luise sich in diesen als zurückhaltend und unentschlossen geltenden Mann hatte verlieben können. Statt wie ein König wirkte er in der dörflichen Umgebung eher wie ein braver Bürger, dessen größte Freude es war, abends an den heimischen Herd zu seiner treusorgenden Gattin zu kommen.
Im hinteren Teil des Raumes standen von Hardenberg, von Kalckreuth sowie zwei weitere Herren und steckten konspirativ die Köpfe zusammen. Sie musterten die Besucherin mit teils skeptischen, teils neugierigen Blicken.
«Frau Gräfin», ergriff Friedrich Wilhelm das Wort und lächelte
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