Die Seidenbaronin (German Edition)
sie herausfordernd an. «Er sprach von Ihnen, Madame!»
Paulina hatte seinem Bericht mit steigender Wut zugehört.
«Der Kaiser glaubt also, er hätte mich außer Gefecht gesetzt», schnaubte sie. «Nun, dann ist er schlecht informiert, denn ich leite nach wie vor die Seidenmanufaktur. Zwar habe ich in Crefeld meinen Schwager als Teilhaber eingesetzt, aber das bedeutet nicht, dass ich die Geschäfte aus der Hand gegeben hätte!»
«Offensichtlich kontrolliert Kaiser Napoleon aber auch Ihre Handelstätigkeit. Er ließ verlauten, dass Sie völlig von seinen Gnaden abhängig seien. Auf einen Wink von ihm würden die meisten Ihrer Kunden sofort die Aufträge an Sie einstellen!»
«Das hat der Kaiser wirklich gesagt?» Paulina fühlte sich zutiefst getroffen. Der Kaiser hatte offenbar im Hintergrund still und heimlich ihren Seidenhandel manipuliert. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Dabei war sie der Meinung gewesen, es besonders schlau angestellt zu haben, indem sie in Paris die gehorsame Hofdame und Senatorengattin spielte und dabei weiter die Fäden in ihrer Manufaktur zog. Sie hatte ja nicht ahnen können, dass der Kaiser ihr diese Fäden längst aus der Hand genommen hatte.
Keine Erkenntnis hätte sie härter treffen können. Zu ihrem großen Verdruss musste sie erkennen, dass sie Napoleon sträflich unterschätzt hatte. Fest blickte sie Christian in die Augen.
«Wann fahren Sie zurück nach Ostpreußen?», fragte sie.
«So bald wie möglich», antwortete Christian. «Ich werde im Morgengrauen wieder aufbrechen. Jede Stunde ist kostbar.»
«Ich fahre mit Ihnen!», teilte Paulina ihm entschlossen mit. «Ich werde sofort meine Leute wecken, damit sie die nötigen Vorbereitungen treffen.»
Christian betrachtete sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Verständnislosigkeit. «Es ist wirklich unglaublich …»
«Was ist unglaublich?»
«Von Hardenberg hatte recht mit dem, was er über Sie sagte», antwortete Christian. «Er ahnte bereits, dass ich vergeblich an Ihre freundschaftlichen Gefühle für Königin Luise appellieren würde. Wissen Sie, was er mir empfahl?»
Paulina wartete schweigend.
«Er riet mir», fuhr Christian fort, «mich nicht damit aufzuhalten, Ihnen die gemeinsam mit Königin Luise verbrachte Jugend in Erinnerung zu rufen. Eine Frau wie Sie könne man nur bei ihrer Eitelkeit und ihrem Ehrgeiz packen.» Er nahm seinen Umhang, den er über einen Stuhl gelegt hatte, und wandte sich zum Gehen.
«Sie haben sich sehr verändert, Madame – allerdings nicht unbedingt zu Ihrem Vorteil. Hoffentlich sieht es die Königin nicht ebenso!»
«Wo wollen Sie hin?», fragte Paulina. «Ich kann Ihnen ein Zimmer herrichten lassen.»
Die Hand schon am Türgriff, drehte Christian sich noch einmal um. «Bemühen Sie sich nicht, Madame. Ich ziehe es vor, in einem Gasthof zu übernachten.»
Kapitel 45
Tilsit, Juni 1807
Die Flussufer waren mit langen Truppenreihen besetzt. Von den entgegengesetzten Seiten schaukelten geschmückte Boote unter Böllerschüssen in Richtung Flussmitte. Mitten im Strom schwamm ein auf Flößen errichtetes Holzhaus, das mit weißem Leinenstoff verhängt und prunkvoll dekoriert war. Über seiner Tür prangte ein großes, von Eichenlaub umkränztes A.
Als Paulina aus dem Fenster ihrer Kutsche auf den Fluss hinunterschaute, erkannte sie in dem Boot, das vom diesseitigen Ufer ablegte, den preußischen König Friedrich Wilhelm. Mit steinerner Miene stand er neben einem Herrn mit hoher Stirn und buschigen Koteletten.
«Der Herr neben unserem König ist der russische Zar Alexander», erklärte Leutnant Tifflick, ein Offizier aus Christian von Bahros Regiment, der zu Paulinas Begleitung abgestellt worden war. «Gestern fand die gleiche Zeremonie schon einmal statt, da durfte der König aber noch nicht mitfahren und musste im strömenden Regen am Ufer stehen bleiben.»
Das Boot, das von der gegenüberliegenden Seite kam, traf zuerst am Floß ein. Während die mitgefahrenen Herren sich nach dem Aussteigen zu einem Pavillon neben dem Haus begaben, löste sich ein kleiner, korpulenter Mann aus ihren Reihen, trat dem ankommenden Boot entgegen, in dem Friedrich Wilhelm und Alexander saßen, nahm seinen Hut vom Kopf und breitete majestätisch die Arme aus.
Paulina drückte ihre Nase ans Fenster ihrer Kutsche. Sie hatte Napoleon lange nicht gesehen. Soweit sie aus der Entfernung erkennen konnte, war er kahler geworden und hatte eine untersetzte, leicht unförmige Figur und den Ansatz
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