Die Seidenbaronin (German Edition)
lange Zeit nicht gesehen … da wird man manchmal etwas traurig …»
Camille nickte erleichtert. «Das verstehe ich, Maman. Es geht mir ebenso, wenn du auf Reisen bist.» Sie warf Christian einen letzten misstrauischen Blick zu und ließ sich dann von ihrer Mutter aus dem Zimmer führen.
Paulina brachte das Kind zu Bett und sagte ihm noch ein paar beruhigende Worte. Als sie das Licht gelöscht hatte und schon bei der Tür war, setzte Camille sich noch einmal auf.
«Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, Maman, dass dieser Herr die gleiche Augenfarbe hat wie ich?»
«Warum sind Sie gekommen?», fragte Paulina.
Christian von Bahro hatte auf einem Sofa Platz genommen und hielt seinen Kopf in die Hände gestützt. Als er aufblickte, bemerkte Paulina, wie erschöpft er aussah.
«Verzeihen Sie, Madame!», sagte er zerknirscht. «Ich … ich war nicht vorbereitet auf das, was ich hier … das Mädchen … es ist meine Tochter, nicht wahr?»
«Ja», antwortete sie, «aber außer Ihnen und mir weiß es niemand.»
Paulina meinte, so etwas wie Erleichterung in seiner Miene zu entdecken. «Es ist sicher besser für uns, wenn wir uns nicht weiter in Sentimentalitäten ergehen», sagte sie kühl, um sich ihre Ergriffenheit nicht anmerken zu lassen.
Christian erhob sich. «Sie haben recht, Madame. Da ich nur über wenig Zeit verfüge, sollten wir also zum eigentlichen Grund meines Besuches kommen. Man braucht Ihre Hilfe, Frau Gräfin.»
«Wer ist ‹man›?», wollte Paulina wissen.
«Der preußische Staatsminister von Hardenberg – und Ihre Majestät Königin Luise.»
Paulina starrte ihren Besucher sprachlos an. Einige Sekunden verstrichen.
«Ich komme geradewegs aus Königsberg in Ostpreußen», fuhr Christian fort. «Bis dorthin hat Napoleon das preußische Königspaar zurückgedrängt. Der Krieg zwischen Frankreich auf der einen Seite und Preußen und Russland auf der anderen befindet sich in einer entscheidenden Phase. Napoleon steht mit seinen Truppen in Ostpreußen, bereit, jederzeit wieder zuzuschlagen. Der preußische König würde am liebsten verhandeln, aber damit fiele er dem russischen Zaren Alexander in den Rücken. Alexander, von Hardenberg und auch die Königin sprechen sich für die Fortsetzung des gemeinsamen preußisch-russischen Kampfes gegen Napoleon aus.»
«Was machen Sie denn bei den Preußen?», fragte Paulina. «Sollten Sie nicht in den hannoverschen Staatsdienst treten?»
«Ich gehöre seit einigen Jahren der preußischen Armee an. Es gab mehrere Gründe, warum ich nicht in Hannover bleiben wollte. Einer davon war, dass Oberst Scharnhorst mich bat, mit ihm in preußische Dienste zu wechseln.»
«Und was habe ich mit alledem zu tun?»
«Ich wurde in Königsberg der Königin vorgestellt. Sie erinnerte sich daran, dass ihre und meine Großmutter miteinander befreundet waren. Ein Wort gab das andere, und schließlich fragte sie mich nach Ihnen, Madame. Man wusste zu berichten, dass Sie als Gemahlin eines französischen Senators in Paris leben. Von Hardenberg kam auf die Idee, Sie für preußische Zwecke einzuspannen. Da er allerorten über gut informierte Quellen verfügt, fand er schnell heraus, dass Sie keine Gegnerin, aber auch keine große Befürworterin Napoleons sind. Allerdings haben Sie im Gegensatz zu uns allen einen entscheidenden Vorteil: Sie kennen Napoleon gut.»
Paulina fuhr sich verwirrt durchs Haar. «Ich habe ihn ein paarmal getroffen, ja, aber gut kennen wäre zu viel gesagt.»
«Gehören Sie nicht seinem Hofstaat an?»
«So ist es, ja. Das bedeutet aber nicht, dass ich ständig mit dem Kaiser zu tun habe. Er ist oft monatelang fort, und wenn er dann in Paris weilt, arbeitet er mehr, als dass er sich auf höfischen Feierlichkeiten vergnügt. Ich habe ihn schon seit langem nicht mehr gesehen.»
«Sie kennen ihn immer noch besser als von Hardenberg oder die Königin. Außerdem sieht Luise in Ihnen eine Vertraute, die ihre ehrliche Meinung unverblümt kundtun wird. Das unterscheidet Sie, Madame, von all den anderen Beratern, die nur um die Gunst Ihrer Majestät buhlen und bei denen sie nie sicher sein kann, wessen Interessen sie vertreten: die der Königin oder ihre eigenen. Kurzum: Ich habe die Aufgabe, Sie im Namen Ihrer Majestät Luise von Preußen zu bitten, ihre Ratgeberin in Fragen des französischen Kaisers Napoleon zu sein.»
«Ratgeberin?», wiederholte Paulina verblüfft. «Bedeutet das, dass ich nach Ostpreußen reisen soll?»
«Natürlich! Ihre Majestät
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