Die Seidenbaronin (German Edition)
schildern. Damit meine ich die Gedanken, Strömungen und Aktivitäten in Paris. Nicht jeder Franzose wird ein glühender Anhänger Napoleons sein. Man sollte jedoch wissen, auf wen man im Falle eines Falles bauen kann.»
Paulina musterte den Minister. Geschmeidig wie ein Fuchs und biegsam wie eine Schlange – war das nicht der Ruf, den er gemeinhin genoss?
«Bei aller Wertschätzung, die ich Ihnen entgegenbringe, Herr von Hardenberg – das geht dann doch zu weit. Denken Sie daran, dass ich ein Unternehmen leite und Kinder habe. Das verträgt sich schlecht mit Spitzeldiensten.»
«Ich verstehe Ihren Standpunkt», räumte von Hardenberg ein, «doch ich möchte Sie dennoch bitten, darüber nachzudenken. Es geht auch um Ihr Heimatland.»
«Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie nicht alles von mir wissen, Herr Minister. Preußen ist nicht mein Heimatland!»
Sie waren bei der Kate der Bauernwitwe angekommen. Die gute Frau eilte ihnen mit einer Lampe entgegen.
«Ist das Ihr letztes Wort?», fragte von Hardenberg. «Wollen Sie nicht noch einmal in sich gehen?»
Paulina schüttelte den Kopf. «Nein, wirklich, Herr Minister. Ich eigne mich nicht zum Spitzel. Mir ist schon das Intrigantentum bei Hof seit jeher verhasst.» Sie reichte ihm ihre Hand, die er an seine Lippen führte, ohne seinen Blick von ihr zu wenden.
«Ich wünsche Ihnen alles Gute in Riga», sagte sie. «Preußen verliert einen seiner fähigsten Männer.»
Von Hardenberg lächelte geheimnisvoll. «Noch ist für Preußen nicht alles verloren. Dazu zähle ich sowohl mich als auch Sie, Madame. Ich bin sicher, dass wir wieder voneinander hören werden.»
Kapitel 48
Paulina spazierte durch Piktupönen. Die Julisonne brannte vom Himmel, und die Luft flimmerte in der Mittagshitze. Sie kam vom Schulhaus, wo Königin Luise in großer Aufregung einer erneuten Fahrt nach Tilsit entgegensah. Napoleon hatte zum Abschiedsdiner geladen, und im preußischen Lager wertete man das als ein gutes Zeichen. Voller Zuversicht waren der König und seine Berater am Morgen nach Tilsit aufgebrochen. Luise sollte am Abend folgen.
Eine Kutsche tauchte am Ortsrand auf und kam rasch näher.
«Der Wagen aus Memel!», hörte Paulina es hinter sich rufen, und als sie sich umdrehte, sah sie, dass die Oberhofmeisterin und die Gräfin Tauentzien aus dem Pfarrhaus getreten waren. Frau von Voß winkte der Kutsche entgegen. Der Wagen hielt an, und eine kleine, zierliche Frau in einem hochgeschlossenen Pensionskleid stieg aus. Sie schaute sich zaghaft um und ging dann auf die Damen zu, um sie zu begrüßen.
Ließ Luise jetzt ihren gesamten Hofstaat aus Memel kommen?
Nachdenklich ging Paulina weiter. Als sie beim Bauernhaus eintraf, empfing die Bäuerin sie mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck.
«Hinterm Haus … hinterm Haus wartet ein Offizier auf Sie.» Sie rollte dramatisch die Augen. «Aber nur dass Sie es wissen – dies ist ein anständiges Haus!»
Paulina runzelte die Brauen und stapfte am Misthaufen vorbei und zwischen gackernden Hennen hindurch um das Haus herum. In der Wiese unter einem Apfelbaum stand Christian. Er hielt sein Pferd am Zügel und sah ihm beim Grasen zu. Als er sie kommen sah, bekamen seine Augen einen freudigen Glanz.
«Waren Sie bei der Königin?», begrüßte er sie.
«Ja», antwortete Paulina. «Sie wollte sich jedoch noch ein wenig ausruhen, bevor sie heute Abend nach Tilsit zum Abschiedsdiner mit Napoleon fährt.»
«Weiß man schon um den Stand des Friedensvertrages?»
«Von Hardenberg geht davon aus, dass Napoleon heute Abend seine Bedingungen verkünden wird.»
Ein Lächeln glitt über Christians Gesicht. «Das heißt also, dass in den nächsten Stunden kein bedeutendes Ereignis der Weltgeschichte unsere Aufmerksamkeit erfordern wird.»
Paulina lächelte auch. «Das könnte man so sagen. Ich für mein Teil hatte vor, die Gelegenheit zu nutzen, um ein wenig Müßiggang zu betreiben.»
«Dabei könnte ich Ihnen behilflich sein.» Christian nahm sein Pferd beim Reithalfter. «Steigen Sie auf!»
«Wie bitte?», fragte Paulina verblüfft.
«Steigen Sie auf!», wiederholte Christian und deutete aufmunternd mit dem Kinn auf sein Ross. «Ich helfe Ihnen.»
Wie im Traum trat Paulina näher. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, fühlte sie sich in den Sattel gehoben. Im nächsten Moment saß er hinter ihr, und sie spürte seinen warmen Körper an ihrer Seite.
Das Pferd setzte sich in Bewegung und trottete langsamen Schrittes aus dem bäuerlichen
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