Die Seidenbaronin (German Edition)
Garten hinaus.
«Wohin reiten wir?», fragte Paulina.
Statt einer Antwort legte Christian vorsichtig einen Arm um ihre Taille. «Wir haben kein bestimmtes Ziel. Ich möchte einfach nur sichergehen, dass Sie mir nicht wieder davonlaufen.»
Paulina sah erstaunt zu ihm auf.
«Von Hardenberg hat mir aufgetragen, dass ich mich um Sie kümmern soll», sagte er. «Nun, bevor Sie wieder einen Ihrer wahnwitzigen Einfälle bekommen, dachte ich, dass ich Ihrer Unternehmungslust Genüge tue, indem ich Sie zu einem Ausritt entführe.»
Paulina schloss die Augen. Und selbst wenn er nur bei ihr war, weil von Hardenberg es von ihm verlangte! Er war da. Das war letztendlich alles, was zählte. Christian war da!
Sie spürte den warmen Sommerwind auf ihrem Gesicht und gab sich genüsslich dem Augenblick hin. Alles andere war plötzlich fern und wie ausgelöscht. Nichts hatte mehr Bedeutung in Gegenwart dieses Mannes, nach dem sie sich ihr halbes Leben lang verzehrt hatte.
Als sie irgendwann die Augen wieder öffnete, trottete das Pferd an einem kleinen Bachlauf entlang. Hohe Bäume säumten das Ufer und tauchten den schmalen Pfad in kühlenden Schatten.
Vor ihr lag das weite ostpreußische Land. Weiße Schäfchenwolken zogen über den tiefblauen Himmel, goldgelbe Felder reichten bis zum Horizont. Nichts hier ließ ahnen, dass wenige Meilen weiter westlich, jenseits der Memel, alles zerstört und verwüstet war.
Ein Heuschober tauchte am Wegesrand auf.
«Lassen Sie uns anhalten!», bat Paulina. «Ich liebe den Duft von Heu. Er erinnert mich an die Sommer in Allenhofen.»
Christian zügelte das Pferd. Sie rutschte aus dem Sattel und lief wie ein kleines Mädchen auf den Schober zu. Seine knarrende Tür war nur angelehnt, und als sie eintrat, umfing sie der intensive Duft von frischem Heu, das sich an den Wänden bis zur Decke türmte. Durch kleine Ritzen und Luken fielen Sonnenstrahlen, in denen Staubpartikelchen tanzten.
Mit ausgebreiteten Armen ließ Paulina sich fallen und tauchte in das duftende Heu ein. Sie schloss die Augen und wälzte sich genüsslich hin und her. Der Zauber der seltenen glücklichen Tage ihrer Kindheit hüllte sie ein – lange Sommertage, an denen die Zeit stillzustehen schien und die nichts als unendliche, von allem Irdischen entrückte Seligkeit verhießen.
Als Paulina die Augen wieder öffnete, stand Christian vor ihr. Wie gebannt starrte er sie an und verfolgte die sinnlichen Bewegungen ihres Körpers mit flammendem Blick. Sie streckte ihren Arm aus.
Schon war er neben sie geglitten und begann, mühsam seine Erregung im Zaum haltend, ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken.
Sie lachte und reckte sich verführerisch. «Sind es nicht eigenartige Orte, an denen wir zueinanderfinden?», flüsterte sie.
Dann nahm der Rausch ihrer Liebe sie von neuem gefangen. Wie schon damals in der Fischerkate am Strand beim Heiligen Damm ließ sie sich staunend von der ungezügelten Leidenschaft forttragen, die sie in diesem ernsten, unnahbaren Mann weckte. Es war, als hätte es die langen Jahre der Trennung nie gegeben. Während sie wie entrückt die Sinnesfreuden genossen, die sie sich gegenseitig schenkten, wunderten sie sich, wie sie jemals ohne die Zärtlichkeiten und Umarmungen des anderen hatten leben können.
Das Feuer hatte sich entzündet und brannte lichterloh.
«Ich habe dich nie vergessen können», sagte Christian an ihrem Ohr. «Obwohl ich es mit aller Kraft versuchte – ich habe dich nie vergessen können.»
«Gnädige Frau, wo waren Sie denn?», rief die Bäuerin aufgeregt, als Paulina und Christian ins Dorf zurückkehrten, noch ganz benommen von ihrem gerade erlebten Glück. «Die Hofdame der Königin war schon zweimal hier. Sie sucht Sie händeringend! Ihre Majestät die Königin wünscht Sie dringend zu sehen!»
«Die bedeutenden Ereignisse der Weltgeschichte erfordern wieder unsere Aufmerksamkeit», sagte Christian schmunzelnd und schenkte Paulina einen zärtlichen Blick. «Ich müsste fast ein wenig eifersüchtig auf Ihre Majestät werden, da sie ständig nach Ihrer Gegenwart verlangt.»
Paulina konnte seine Leichtigkeit nicht teilen. Sie ahnte, dass etwas Unangenehmes geschehen war. Fast schmerzlich überfiel sie die Angst, dass erneut der Lauf der Dinge ihre gerade geknüpften und noch so zarten Bande zerreißen würde. Unter Aufbietung all ihrer Willenskraft versuchte sie, ihrer Unruhe Herr zu werden, während sie neben Christian durchs Dorf ging. Als sie am Schulhaus ankamen,
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