Die Seidenbaronin (German Edition)
Ostry in einem hellen Crêpekleid, die dunklen Haare offen über die Schulter ausgebreitet, und knabberte genüsslich Konfekt. Neben ihr, in voller Lockenpracht, stand Frédéric. Er hatte die Lippen zu einem spöttischen Lächeln verzogen und klimperte auf einer Mandoline. Im Lieblingssessel des alten von Ostry saß Christian von Bahro. In seinem Gesicht spiegelte sich Erstaunen wider, das sich in Freude verwandelte.
«Guten Abend, Maman!», ergriff Frédéric das Wort. «Verfügen Sie über hellseherische Kräfte, oder sind Sie wie der Blitz gereist? Wundern würde mich bei Ihnen weder das eine noch das andere.»
Paulina merkte, wie ihr die Knie schwach wurden. Sie war plötzlich unfähig, auch nur einen weiteren Schritt zu machen.
Frédéric lebte, und er war in Erldyk!
Christian hatte sich erhoben. Langsam kam er auf Paulina zu – dieser Mann, den sie nie hatte vergessen können, den das Schicksal ihr immer wieder geraubt hatte und der nun zu ihr gekommen war. Selten hatte sie ihn so gelöst und heiter gesehen. Seine hellbraunen Augen leuchteten, als er fragte: «Wollen wir uns zuerst wieder ein wenig streiten, oder darf ich Sie diesmal gleich mit einem Kuss begrüßen?»
«Wir sind uns in der Poststation von Aachen begegnet», erzählte Christian. «Frédéric war auf dem Weg nach Crefeld und ich nach Paris.»
«Nach Paris?», fragte Paulina. «Hatten Sie wieder einen Auftrag Ihrer Majestät der Königin zu erledigen? Oder haben Sie, was ich kaum zu vermuten wage, die Reise womöglich meinetwegen unternommen?»
Sie hatten alle vor dem Kamin Platz genommen, nachdem die erste Aufregung der Wiedersehensfreude sich gelegt hatte.
«Beides trifft zu, Madame», antwortete Christian. «Allerdings war ich nicht im Auftrag der Königin unterwegs, sondern auf Veranlassung des ehemaligen Staatsministers von Hardenberg.»
Paulina horchte auf. «Dann muss es wichtig gewesen sein, wenn er Sie eigens nach Paris geschickt hat.»
«So wichtig, dass ihm das Senden eines Briefes zu gefährlich erschien», bestätigte Christian.
Paulina warf einen forschenden Blick auf ihre Kinder. Doch weder Frédéric noch Anna schienen erstaunt darüber zu sein, dass ihre Mutter mit einem ins Exil verbannten preußischen Minister zu tun hatte.
«Wie kommt es dann, dass Sie in Crefeld gelandet sind?», wandte Paulina sich wieder an Christian.
«Frédéric warnte mich davor, nach Paris zu fahren. Er sagte, dass Ihre Familie ins Visier des Pariser Geheimdienstes gekommen sei. Für einen preußischen Offizier sei es also nicht gerade der richtige Zeitpunkt, um bei Ihnen vorzusprechen.»
Paulina blickte erstaunt zwischen Christian und ihrem Sohn hin und her. «Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass Frédéric Ihnen derart vertrauliche Dinge mitteilte!»
«Warum hätte ich das nicht tun sollen?», fragte der Junge mit entwaffnender Selbstverständlichkeit. «Schließlich ist er mein Vater.»
Paulina war nun völlig irritiert. «Aber das konntest du doch nicht wissen!»
Frédéric musste über die Naivität seiner Mutter herzlich lachen. «Denken Sie, dass ich blind bin? Camille ist dem Hauptmann von Bahro wie aus dem Gesicht geschnitten, und da sie meine Zwillingsschwester ist …» Er beugte sich über seine Mandoline und spielte eine Tonfolge in Moll. «Ich habe mich dem Mann, dessen Namen ich trage, immer irgendwie fremd gefühlt. Jetzt weiß ich, warum.» Es schlossen sich eine Reihe munterer Akkorde an. «Wenn meine Freunde wüssten, dass mein wirklicher Vater nicht Mitglied des verhassten Senats von Frankreich ist, sondern ein preußischer Offizier, der am Hof des Königs verkehrt …»
«Unterstehe dich, es ihnen zu verraten!», fiel Paulina ihm energisch ins Wort. «Ich bin heilfroh, dass ich dich unbeschadet aus Paris herausgebracht habe.»
«Maman, ich weiß selbst, dass niemand von der Anwesenheit des Hauptmanns von Bahro erfahren darf», sagte Frédéric ernst. «Aus diesem Grunde sind wir nach Erldyk und nicht nach Crefeld gefahren. Wir haben nicht einmal Großmutter und Thomas Cornelius Bescheid gegeben. Großmutter hätte das Geheimnis nie und nimmer für sich behalten können.»
Paulina konnte nur noch staunen.
«Nur Ihnen haben wir nach Paris geschrieben, Maman, und Sie gebeten, schnellstmöglich hierherzureisen», fuhr Frédéric fort. «Das erschien uns angesichts der Umstände die beste Lösung. Offenbar verfügen Sie jedoch über hellseherische Fähigkeiten, da Sie unserem Schreiben zuvorgekommen
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