Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rauen
Vom Netzwerk:
sich plötzlich ganz sicher. Er lebte noch, und sie würde ihn finden. Napoleons Geheimdienst würde seiner nicht habhaft werden. Sie würde alles dafür tun, damit ihr Sohn ihm entkam. Er durfte nicht von dieser Welt gehen, ohne seinem Vater begegnet zu sein.

    «Madame, es steht schlecht um unsere Geschäfte», sagte Thomas Cornelius, als Paulina und er nebeneinander durch das Geschäftshaus gingen. Sie begutachteten eine Ladung Samtstoffe, deren Auslieferung in letzter Minute aufgehoben worden war, weil der vorgesehene Käufer seine Bestellung zurückgezogen hatte.
    Paulina blieb stehen. «Warum sagen Sie mir das erst jetzt?»
    Thomas setzte ein unglückliches Gesicht auf, das ihn wie einen traurigen Bären erscheinen ließ. «Sie waren so in Sorge um Ihren Sohn, Madame …»
    «Das bin ich immer noch!», fuhr Paulina ihm dazwischen. «Aber das ist noch lange kein Grund, dass Sie mir derart wichtige Informationen vorenthalten! Warum haben Sie mir nicht längst nach Paris geschrieben?»
    «Die Angelegenheit erschien mir zu bedeutend für einen Brief. Ich zog es vor, persönlich nach Paris zu fahren, um Sie in Kenntnis zu setzen. Wenn Sie nicht hier aufgetaucht wären, hätte ich mich bald auf den Weg gemacht.»
    «So schlimm steht es?»
    «Die Aufträge sind katastrophal zurückgegangen, Madame. Es ist, als hätte jemand unseren Kunden nahegelegt, uns regelrecht zu ächten.»
    Paulina kniff die Lippen zusammen. «Es handelt sich also nicht nur um unsere Pariser Kunden?»
    «Leider nein, denn diese könnten wir ohne weiteres verschmerzen. Hinzu kommen allerdings noch Auftraggeber aus den Staaten des Rheinbundes, aus der Schweiz und aus dem Königreich Westfalen – kurz gesagt: Kunden aus dem Einflussbereich Napoleons.»
    Paulina wich seinem fragenden Blick aus. «Wie lange geht das schon so?»
    «Noch nicht lange, Madame. Der Einbruch kam plötzlich und unerwartet heftig.»
    «Können wir nicht andere Absatzmärkte erschließen?»
    Thomas lachte bitter auf. «Durch die Handelssperre mit England bleiben uns nicht allzu viele Möglichkeiten! Halb Europa ist in Napoleons Hand. Im Übrigen ist es für ein Unternehmen unserer Größenordnung schwierig, sich so schnell einen neuen Kundenstamm aufzubauen. Und das müssen wir, wenn wir nicht untergehen wollen.»
    Paulina schwieg. Sie musste an die üblen Scherze denken, die man hinter ihrem Rücken in den Pariser Salons zu machen pflegte. Wenn die Gräfin Ostry die Wahl zwischen einer Lieferung Rohseide und ihren Kindern hätte, würde sie die Rohseide nehmen – das sagte man ihr immer wieder gerne nach. Hatte nicht auch Napoleon sich schon dieses Spruches bedient?
    Paulina schlenderte an den aufgestapelten Tuchballen entlang, die ihre vorgesehenen Adressaten nun nicht mehr erreichen würden. Und wenn das Seidenunternehmen nun wirklich untergehen würde? Es hatte Zeiten gegeben, da hätte sie ihre Seele verkauft, um dies zu verhindern. Aber jetzt? Was war schon diese verflixte Seidenmanufaktur gegen das Leben ihres Sohnes?
    «Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Kaiser persönlich etwas mit unserem Geschäftsrückgang zu tun hat», sagte Thomas hinter ihr. «Homberg, der in diesen Dingen ein feines Gespür besitzt, äußerte bereits etwas Ähnliches. Abgesehen von der ausgesprochenen Torheit Ihres Sohnes, sich gegen einen Mann aufzulehnen, vor dem die mächtigsten Herrscher Europas erzittern – haben Sie womöglich noch in anderer Form den Zorn Napoleons auf sich gezogen, Madame?»
    Paulina strich über einen wunderschönen, weinroten Samtstoff. «Ich wüsste nicht, wie …»
    Sie merkte, dass Thomas auf sie zueilte. Er packte sie von hinten am Arm. «Sie müssen zum Kaiser gehen, Madame! Bitten Sie ihn um Vergebung für die Dummheiten Ihres Sohnes! Wir werden sonst alles verlieren, was wir uns in so langen Jahren aufgebaut haben.»
    Paulina drehte sich zu Thomas um. «Ich kann nicht, Cornelius, hören Sie, ich kann nicht zum Kaiser gehen!»
    Thomas starrte sie entgeistert an. «Warum können Sie nicht?»
    Draußen auf dem Gang waren Stimmen zu hören. Paulina beugte sich über die Tuchrollen.
    «Frau Gräfin», war der Kontorangestellte Homberg zu vernehmen, «Herr Terbrüggen ist hier!»
    Unter Aufbietung all ihrer Kräfte versuchte Paulina, sich zu sammeln. Sie wollte diesem Spitzel Napoleons unter keinen Umständen zeigen, in welcher Verfassung sie war.
    «Frau von Ostry, was für eine Überraschung!», rief Terbrüggen. War seine Stimme schon immer so

Weitere Kostenlose Bücher