Die Seidenbaronin (German Edition)
scheinheilig gewesen?
Paulina wandte sich um.
Sie musste sich beherrschen, um dem Seidenfabrikanten, der übers ganze Gesicht grinsend vor ihr stand, nicht an die Gurgel zu springen. Was hatte Terbrüggen in den letzten Jahren ihrer Zusammenarbeit alles über sie an Napoleons Geheimdienst weitergeleitet? Hatte er womöglich sogar im Crefelder Kontor und in ihren Papieren herumgeschnüffelt?
«Werter Terbrüggen!», sagte Paulina in gespielter Freude. «Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?»
«Eigentlich sollte ich Ihnen böse sein, Madame, dass Sie mir Ihre Ankunft in Crefeld bisher verschwiegen haben. Nun ja, da diese Stadt kleiner ist als Paris, spricht es sich dennoch schnell herum, wenn die Frau Gräfin sich von ihren Verpflichtungen am kaiserlichen Hof losgerissen und den Weg nach Crefeld auf sich genommen hat. Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie hier sind?»
«Die Geschäfte erfordern meine Anwesenheit», antwortete Paulina.
Terbrüggen seufzte theatralisch. «Ich hörte davon, dass Ihr Seidenhandel einen starken Rückgang zu verzeichnen hat. Da bleibt einem eben nichts anderes übrig, als das eine oder andere Fest am Pariser Hof auszulassen.»
«Höre ich da etwa einen gewissen Neid heraus?», fragte Paulina mit süßlicher Stimme.
In Terbrüggens Gesicht zuckte es verdächtig. «Sie werden sich Ihr arrogantes Gehabe bald abgewöhnen müssen, Madame! Ihr Stern ist im Sinken begriffen, wie Sie sicher selbst bereits festgestellt haben.» Er streifte Thomas mit einem geringschätzigen Blick. «Wie schön, dass Ihr Herr Teilhaber auch zugegen ist! Dann können wir ja gleich zu dritt besprechen, was ich Ihnen anzubieten habe.»
«Höre ich richtig?», fragte Paulina. «Sie wollen uns etwas anbieten? War es bisher nicht eher umgekehrt?»
Terbrüggen machte sich nicht die Mühe, seine Genugtuung zu verbergen. «Sie sagen es selbst – bisher! Die Zeiten sind jedoch vorbei, in denen Sie mir Aufträge verschafften und ich Ihnen nur zuarbeitete. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass einige Ihrer bedeutendsten Kunden zu mir gewechselt sind.»
Während Thomas vor Entsetzen der Mund offen stehen blieb, schaffte es Paulina, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.
«Nun, dann sind Sie Ihrem ehrgeizigen Ziel, in die Tuilerien zu gelangen, ja vielleicht ein Stück näher gekommen. Nur Ihr Französisch lässt noch ein wenig zu wünschen übrig, mein Lieber. Oder hat es sich seit meinem letzten Besuch in Crefeld verbessert?»
Sie begann, in ihrem Täschchen zu kramen, und zog einen kleinen Spiegel hervor, in dem sie sich gründlich betrachtete. «Welche Gegenleistung hat Napoleon übrigens dafür bekommen, dass er Ihnen unsere Kunden verschafft hat?»
Nun blieb auch Terbrüggen der Mund offen stehen. «Wie bitte?»
Paulina blickte von ihrem Spiegel auf und hob die Augenbrauen.
«Es gibt nichts umsonst auf dieser Welt, Herr Terbrüggen, außer vielleicht den Tod, nicht wahr?»
Terbrüggen schluckte. «Frau Gräfin, Sie sind reichlich hochnäsig dafür, dass Sie so viele Probleme haben.»
«Was für Probleme?» Paulina widmete sich wieder ihrem Spiegelbild. «Warum sollte ich Probleme haben? Endlich kann ich mich ausschließlich den schönen Feierlichkeiten bei Hof widmen.»
Sie spürte, dass es in Terbrüggen zu kochen begann.
«Hören Sie auf, mir solche Märchen zu erzählen, Madame! Sie können ohne Ihren Seidenhandel nicht leben!»
Paulina lächelte hinter ihrem Spiegel. «Ich könnte schon allein deshalb ohne meinen Seidenhandel leben, weil ich dann nichts mehr mit Ihresgleichen zu tun haben müsste, Herr Terbrüggen!»
Der Kaufmann konnte sich nun nicht mehr zurückhalten.
«Sie sind beileibe nicht in der Position, die Hochmütige zu spielen!», brach es aus ihm heraus. «Wie ich hörte, haben Sie in Paris noch ein weiteres Problem. Wie schade für Sie! Da Sie so dumm waren, ausgerechnet jetzt nach Crefeld zu fahren, werden Sie nicht zugegen sein, wenn man sich in Paris darum kümmert.»
Paulina jubelte innerlich. Wenn sie die Worte Terbrüggens richtig deutete, war Frédéric noch nicht in Crefeld aufgetaucht, und der Geheimdienst wusste nicht einmal, dass der Junge Paris verlassen hatte. Langsam ließ sie ihren Spiegel sinken.
«Sie sprechen in Rätseln, mein Lieber. Und nun möchte ich Sie bitten, unser Kontor zu verlassen. Falls Sie gedacht haben sollten, dass wir darum betteln, zukünftig für Sie produzieren zu dürfen, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Der Kaiser hat mir im
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