Die Seidenbaronin (German Edition)
sind.»
«Oder über einen guten Freund», murmelte Paulina vor sich hin.
Ihr war plötzlich klar, wie viel Glück sie gehabt hatten. Ohne die Begegnung mit Christian wäre der Junge jetzt vielleicht schon tot. So aber war nicht nur Frédéric gerettet worden – es hatten sich auch Vater und Sohn gefunden.
«Wer denkt eigentlich an mich?», meldete sich Anna zu Wort und verzog beleidigt den Mund. «Sie haben mich noch gar nicht gefragt, warum ich hier bin, Maman!»
Paulina lachte und drückte die Hände ihrer Tochter. «Verzeih mir, mein Liebes, aber ich war so in Sorge um Frédéric … Du bist also einfach mit deinem Bruder gefahren.» Sie stutzte plötzlich. «Ich kann mich jedoch nicht erinnern, dir die Erlaubnis dazu erteilt zu haben.»
Anna blickte ihre Mutter kess an. «Ich habe mir Ihre Erlaubnis auch nicht eingeholt. Das kann jedoch so schlimm nicht sein angesichts der Tatsache, dass Sie mich bisher nicht einmal vermisst haben.»
Paulina presste beschämt die Lippen aufeinander. Sie hatte drei Tage lang nicht gemerkt, dass auch ihre siebzehnjährige Tochter Paris verlassen hatte!
«Nun sag schon, warum du hier bist!», drängte Frédéric.
Anna holte tief Luft. «Ich werde mich mit meiner Großtante treffen», teilte sie mit. «Anna kommt in Kürze nach Crefeld.»
«Du hast aber hoffentlich nicht vor, dich ihrer Theatertruppe anzuschließen?», fragte Paulina alarmiert.
Anna antwortete nicht.
«Sie hat genau das vor», bestätigte Frédéric.
«Ich denke darüber nach», schränkte Anna schnell ein.
Christian, der dem Gespräch interessiert gelauscht hatte, räusperte sich. «Ich finde, es ist zu spät, um heute noch Dinge von solcher Tragweite zu entscheiden. Also schlage ich vor, dass die Jugend sich jetzt zu Bett begibt, damit die Erwachsenen noch einige wichtige Dinge besprechen können. Wir werden für alle Probleme eine Lösung finden.»
Die jungen Leute gehorchten ohne Protest. Frédéric klimperte einen Schlussakkord, legte sein Instrument beiseite und ging, gefolgt von seiner Schwester, zur Tür. Paulina begleitete ihre Kinder auf den Flur hinaus.
«Du wirst also damit aufhören, Hetzschriften über den Kaiser zu verbreiten?», fragte sie, als sie sich von Frédéric verabschiedete.
«Mit derlei Kinderkram werde ich mich nicht mehr befassen», antwortete ihr Sohn. «Einen Mann wie Napoleon kann man nicht mit kleinen Schmierereien zu Fall bringen. Es wird noch etwas dauern, bis man Napoleon schlagen kann. Was nutzt uns jetzt ein stümperhafter, schlecht geplanter Widerstand, wenn es später keine fähigen Leute mehr gibt, die am Tage von Napoleons Untergang die Geschicke des Landes in die Hand nehmen können?»
Paulina war sprachlos. «Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell du zur Vernunft gekommen bist. Mir scheint, es wurde höchste Zeit, dass du deinem Vater begegnest.»
«Ich denke, wir sind nun quitt», sagte Christian, als Paulina in den Salon zurückgekehrt war. Er stand am Fenster und sah in den verschneiten, nächtlichen Park hinaus. «Sie haben mir bei unserer letzten Begegnung meinen Sohn vorenthalten, und ich habe Ihnen vorenthalten, dass ich mit der Tochter eines mecklenburgischen Freiherrn verheiratet bin. Ich habe der Vermählung übrigens an dem Tag zugestimmt, als ich erfuhr, dass Sie, Madame, nach Paris gezogen waren, weil man Ihren Gatten in den Senat berufen und zum Grafen geadelt hatte.»
Paulina blieb ein wenig unschlüssig in der Mitte des Raumes stehen. Sie fröstelte. Das Feuer war fast heruntergebrannt, und Christian hatte kein neues Holz aufgelegt. Nach dem Weggang ihrer Kinder fühlte sie plötzlich eine sonderbare Beklommenheit.
«Welche Botschaft hat Ihnen von Hardenberg für mich mitgegeben?», fragte sie.
Christian drehte sich um. «Ehrlich gestanden, war ich zutiefst erschüttert, als ich erfuhr, dass Sie seit zwei Jahren für von Hardenberg arbeiten. Für ihn ist es von unschätzbarer Hilfe, über die Vorgänge aus dem engeren Kreis des französischen Kaisers unterrichtet zu sein. Sie aber, Madame, ahnen wohl nicht, wie gefährlich Sie leben, indem Sie ihm diese Berichte liefern.»
«Sind Sie gekommen, um mir dies zu sagen?»
«Napoleon hat dem Königspaar gestattet, nach Berlin zurückzukehren. Die Königin betreibt emsig die Wiedereinstellung von Hardenberg in den preußischen Staatsdienst. Falls in dieser Situation ein Schreiben der Gräfin Ostry in die Hände der Franzosen fallen sollte, wären Luises Bemühungen von vornherein zum
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