Die Seidenbaronin (German Edition)
Übrigen bereits signalisiert, dass er mein Entgegenkommen honorieren wird. Sie wissen, wie schnell der Spieß sich in diesem Staate umkehren kann. Gnade und Ungnade liegen nahe beieinander.»
Sie steckte ihren Spiegel ein, ordnete ihr Haar und machte sich auf den Weg zur Tür. Im Vorbeigehen drehte sie sich noch einmal zu Terbrüggen um. «Sie müssen sich einen anderen Fabrikanten suchen, mein Lieber. Für nichts in der Welt würde ich einen Auftrag von Ihnen annehmen.»
Kapitel 51
Erldyk, Dezember 1809
Im fahlen Mondlicht sah die verschneite Zufahrt von Erldyk mit den weiß gepuderten Bäumen und Sträuchern so märchenhaft aus, dass es Paulina ganz warm ums Herz wurde. Am Ende des Weges lag das Schloss, dessen Fenster hell erleuchtet waren und das die späten Gäste mit seinem einladenden, weithin in die winterliche Dunkelheit scheinenden Licht willkommen hieß.
Paulina musste an den Abend vor vielen Jahren denken, als sie von Hannover kommend mit bangem Gefühl vor dem damals wie verlassen daliegenden, gespenstischen Haus eingetroffen war.
Heute stand das Portal bereits weit offen, als ihre Kutsche in den mit einer frischen Schneedecke überzogenen Schlosshof fuhr. In der Tür waren die Umrisse einer Frau und eines Mannes zu sehen, ein Diener kam mit einer Lampe die Freitreppe herunter.
«Frau Gräfin, was für eine Überraschung!», rief er ehrlich erfreut, als Paulina aus dem Wagen kletterte. «Wir haben Sie noch gar nicht erwartet!»
Die beiden Personen in der Tür eilten Paulina geschäftig entgegen. Sie erkannte Heinsmann, den Verwalter von Erldyk, und seine Frau.
«Wir hätten die Treppe vom Schnee geräumt, wenn wir gewusst hätten, dass Sie schon kommen!», sagte Heinsmann und half Paulina die verschneiten Stufen hinauf. «Wie sind Sie denn so schnell hierhergelangt, gnädige Frau? Das grenzt ja fast an Zauberei!»
Paulinas Blick wanderte amüsiert zwischen den dreien hin und her. «Es erstaunt mich, dass Sie über mein Kommen Bescheid wissen, denn ich habe mich erst vor wenigen Stunden entschlossen, nach Erldyk zu fahren.»
«Vor wenigen Stunden?», rief Frau Heinsmann entgeistert aus. «Und in Crefeld waren Sie auch schon?»
«Nun lass die gnädige Frau doch erst einmal ins Haus kommen, Trude», griff ihr Gatte ein. «Sie wird nach der langen Reise hungrig und müde sein.»
Paulina fand das Verhalten des Verwalters und seiner Frau zwar reichlich merkwürdig, doch die herzliche Aufnahme tat ihr gut. Sie konnte sich plötzlich nichts Schöneres vorstellen, als sich nach einem guten, im Kaminzimmer genossenen Abendmahl in ihr Schlafzimmer zurückzuziehen und zwischen weichen Kissen tief und traumlos zu schlafen.
«Man könnte meinen, hier würde ein Fest gefeiert», bemerkte sie freundlich, als sie in der hell erleuchteten Halle stand und sich umschaute. «Haben Sie Gäste?»
Der Verwalter und seine Frau sahen sie nun an, als hätte sie nicht mehr alle Sinne beisammen.
«Aber gnädige Frau!», entrüstete Frau Heinsmann sich. «Das wissen Sie doch selbst!»
Paulina versuchte, sich zu erinnern, ob Thomas oder Homberg in den letzten Tagen irgendeine Andeutung gemacht hatten. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Handelsreisenden der Manufaktur von Ostry in Erldyk nächtigten, wo es bequemer war als in den Gasthöfen der Stadt.
«Ja, natürlich», sagte sie also, um das verblüffte Verwalterehepaar nicht weiter zu beunruhigen. «Ich wäre Ihnen nur sehr verbunden, wenn ich den heutigen Abend nicht in Gesellschaft verbringen müsste.»
Ihre Bitte stürzte die beiden in noch größere Verwirrung.
«Sie wollen alleine sein?», entfuhr es Frau Heinsmann. «Wozu sind Sie denn dann gekommen? Man freut sich doch auf Sie!»
Nun war es an Paulina, überrascht zu sein. «Wer freut sich auf mich?» Das hatte ihr gerade noch gefehlt, mit irgendeinem Händler oder Korrespondenten die Seidenproduktion besprechen zu müssen. Schließlich war sie nach Erldyk gekommen, um ihre Ruhe zu haben.
Die Frau des Verwalters nahm Paulina kurzerhand am Arm und zog sie durch die Halle zum großen Salon, in dem die Familie zusammenkam, wenn sie mit Kind und Kegel in Erldyk war.
Als Paulina hinter Frau Heinsmann den Raum betrat, meinte sie, sich in einem Traum wiederzufinden. Überall im Salon brannten Kerzen, deren Flammen tanzende Schatten an die Wände warfen. Der warme Schimmer eines im Kamin prasselnden Feuers fiel auf die Gesichter der Personen, die sich davor versammelt hatten. Auf einem Sofa saß Anna von
Weitere Kostenlose Bücher