Die Seidenbaronin (German Edition)
Sie mir – meine Einkünfte sind bei weitem nicht so üppig wie die Ihrigen.»
«Nun, zumindest eine der Prinzessinnen versteht sich ja ganz vorzüglich darauf, die Aufmerksamkeit der reichsten Fürstenhäuser Europas auf sich zu ziehen», antwortete eine Frau, deren Stimme Paulina nicht kannte. «Ist es wahr, was man sich über eine Verbindung zwischen Therese und dem Erbprinz von Thurn und Taxis erzählt?»
Prinzessin George seufzte laut. «Karl Alexander ist zweifellos sehr vermögend und außerdem schwer verliebt in Therese. Und dennoch stelle ich mir eine andere Verbindung für sie vor. Wenn man die Möglichkeit hat, Königin von England zu werden, kann der Erbsohn eines Postunternehmens allerhöchstens die zweite Wahl sein.»
«Der Erbsohn eines sehr einträglichen Postunternehmens», verbesserte die andere mit neidvollem Unterton.
Eine Weile hörte man nur das Knistern des Feuers. Dann erklang wieder die Stimme der anderen Frau: «Was ist das eigentlich für eine Geschichte mit der kleinen Verwandten der Gräfin Bahro? Ich nahm an, dass man sie nach ihrem ungeheuerlichen Verhalten während des Soupers sofort des Hauses verwiesen hätte. Und nun höre ich, Hoheit, dass Sie gedenken, sie zur Gesellschafterin von Prinzessin Therese zu machen.»
Paulina horchte auf.
«Das habe ich in der Tat vor», antwortete die Prinzessin mit ihrer warmherzigen Stimme. «Wie Sie wissen, ist Therese ein schöngeistiges Mädchen, das wenig Interesse an den kleinen Streitigkeiten und Intrigen der Hofgesellschaft zeigt. Sie verabscheut jegliche Art von Heuchelei, und die kleine Großnichte der Gräfin Bahro erschien ihr klug, ehrlich und couragiert. Das Mädchen hat eine ausgezeichnete Erziehung genossen – ich selbst habe damals der Gräfin Bahro die Lehrerin für das Kind empfohlen. Ich erhoffe mir, dass Therese sich durch die Gesellschaft der kleinen Baroness etwas wohler in Darmstadt fühlen wird als bisher.»
«Glauben Sie nicht, Hoheit, dass der ungewöhnliche Aufstieg dieser jungen Dame einen gewissen Neid hervorrufen wird?»
Prinzessin George brach in ein herzhaftes Lachen aus. «Meine liebe Gräfin Gondern, man könnte annehmen, dass Sie mich nur aufgesucht haben, um mir in dieser Angelegenheit ins Gewissen zu reden. Die junge Dame ist die Urenkelin eines Reichsritters, und damit ist sie in jedem Fall würdig, der Hofgesellschaft anzugehören. Außerdem ist die Gräfin Bahro eine Jugendfreundin von mir. Ich erweise ihr gerne den Gefallen, Fräulein von Gralitz in meinen Hofstaat aufzunehmen. Selbst wenn», an dieser Stelle wurde der Ton der Prinzessin unmissverständlich schärfer, «es einige unliebsame Gerüchte über ihre Familie mütterlicherseits geben mag.»
«Von Gralitz?», fragte die Gräfin Gondern nach einer kurzen Pause. «Sind wir nicht einem Herrn von Gralitz während unserer Reise nach Mecklenburg begegnet? Er war ein sehr kultivierter Mensch, wenn ich mich recht entsinne. Ist das Mädchen etwa mit ihm verwandt?»
«Er ist Paulinas Urgroßvater.»
«Oh!», machte die Gräfin Gondern bewundernd.
Paulina hatte dem Gespräch begierig gelauscht. Ihr anfänglich schlechtes Gewissen hatte sich schnell in Luft aufgelöst. Von der Existenz dieses ominösen Urgroßvaters hatte sie bisher nichts gewusst. Er musste ein beeindruckender Mann sein, wenn alleine die Erwähnung seiner Person das Misstrauen der Gräfin Gondern derart mühelos im Keim ersticken konnte.
«Dieses Haus ist bisweilen ein einsamer Ort», ertönte plötzlich eine freundliche Stimme hinter Paulina. «Und dennoch kann man nirgends wirklich alleine sein.»
Erschrocken drehte Paulina sich um. Vor ihr stand die junge Prinzessin Therese. Paulina versank in einen tiefen Hofknicks.
Von nahem war die Prinzessin noch hübscher, als Paulina es in Erinnerung hatte. Aus dem ovalen, von dunklen Locken umrahmten Gesicht blickten ihr wache, braune Augen entgegen. Thereses edle Züge und ihre stolze Haltung glichen der einer Königin. Den Kopf ein wenig zur Seite neigend, fragte sie: «Lauschen Sie öfters den Gesprächen anderer, Mademoiselle? Zugegeben, ich tue es auch gerne, aber ich habe immer Angst, dass ich meine eigene Schande zu hören bekommen könnte.»
«In diesem Falle war es keine Schande», sagte Paulina noch ganz unter dem Eindruck der soeben erfahrenen Neuigkeiten.
Therese lächelte. «Ich sehe, dass ich mich nicht in Ihnen geirrt habe. Wenn Sie den Versuch einer kläglichen Rechtfertigung unternommen hätten, wäre ich
Weitere Kostenlose Bücher