Die Seidenbaronin (German Edition)
enttäuscht gewesen. Eigentlich sollten Sie zuerst meiner Großmutter vorgestellt werden, aber als ich hörte, dass Sie eingetroffen sind, habe ich mich einfach hereingeschlichen.» Sie schloss die Tür, die ins Boudoir der Prinzessin George führte. «Meine Großmutter sitzt noch mit der Gräfin Gondern zusammen. Da ist die Gelegenheit günstig, um vorher ein wenig mit Ihnen alleine zu sein. Ich hoffe, Sie können mein Geheimnis genauso wahren wie ich das Ihre!»
«Ich plaudere nie Geheimnisse aus!»
«Das hätte ich auch nicht anders erwartet. Nun, Mademoiselle, Sie haben mir einen der amüsantesten Momente beschert, seit ich hier in Darmstadt bin. Nie werde ich das Gesicht der Gräfin Rommbart vergessen, als Sie von ihren jugendlichen Liebhabern sprachen. Ich hege seit jeher eine große Abneigung gegen diese Frau, und durch Sie habe ich eine herrliche Genugtuung erfahren. Eigentlich wollte ich meine Großmutter nach dem Souper nur um Nachsicht für Sie bitten. Doch als ich hörte, dass Sie sich für Literatur und Kunst interessieren, glaubte ich, eine verwandte Seele in Ihnen gefunden zu haben.»
«Ich hoffe, dass ich Ihren Erwartungen entsprechen kann», sagte Paulina und senkte die Augen. Noch nie hatte ein Mensch ihr ein solches Vertrauen entgegengebracht, und sie erlebte einen der seltenen Augenblicke in ihrem Leben, in dem sie aufrichtige Ergebenheit empfand.
In diesem Moment ging geräuschvoll die Tür auf, und eine der Schwestern Thereses stürmte auf die beiden jungen Frauen zu.
«Endlich sind Sie da!», sagte die Kleine und strahlte Paulina an. «Ich habe Sie schon sehnsüchtig erwartet!»
«Aber Luise!», rief Therese in vorwurfsvollem und gleichzeitig nachsichtigem Ton. «Wer hat dir erlaubt, hier einfach so hereinzuplatzen?»
«Sei nicht so streng mit mir, Röschen!» Das Gesicht der kleinen Luise verzog sich zu einem entwaffnenden Lächeln. «Gib es zu – du warst doch nicht minder neugierig auf das Fräulein von Gralitz. Nun warten wir schon drei Tage, und jetzt, wo sie endlich da ist … Du weißt selbst, wie es ist, wenn Großmutter mit der Gräfin Gondern schwatzt.»
«Die Großmutter schwatzt nicht. Sie bespricht wichtige Dinge mit der Gräfin.»
«Wichtige Dinge – pah! Die Gräfin Gondern ist mindestens genauso schlimm wie die Gräfin Rommbart.» Luise wandte sich wieder an Paulina und plapperte munter weiter. «Auch wenn Sie hier sind, Mademoiselle, um meiner älteren Schwester Gesellschaft zu leisten – Sie werden doch sicher auch für mich einmal Zeit finden, nicht wahr? Es ist manchmal furchtbar langweilig hier.»
Paulina musste lächeln. Diesem fröhlichen Kind gegenüber kam sie sich ungemein erwachsen vor. Dabei war die Prinzessin Luise nur schätzungsweise zwei Jahre jünger als sie selbst.
«Meine Schwester ist sehr gebildet, müssen Sie wissen», fuhr die kleine Prinzessin unbeirrt fort und spielte dabei mit der Kette an ihrem Hals. «Ich bin es nicht so, aber wenn Sie einmal die Nase voll haben von all dem schöngeistigen Gerede und etwas richtig Lustiges erleben möchten, dann kommen Sie zu mir!»
«Luise!» Therese war nun ärgerlich. «Wenn du eine Spielkameradin suchst, brauchst du nur zu Friederike zu gehen. Ich glaube nicht, dass Fräulein von Gralitz Gefallen an deinen kindischen Albereien findet.»
Luise wurde schlagartig ernst. Ihr kindlicher Gesichtsausdruck verschwand, und sie wirkte plötzlich um Jahre älter. «Du musst dich nicht als große Dame aufspielen, Therese! Nur weil du glaubst, einmal Königin von England zu werden, bist du noch lange nicht besser als der Rest der Welt. Wer weiß, vielleicht bin ich es ja sogar, die eines Tages Königin wird!» Sie machte auf dem Absatz kehrt, stapfte mit trotzig in die Luft gestrecktem Kinn davon und verließ unter lautem Türenknallen das Zimmer.
Paulina und Therese sahen sich ein paar Sekunden lang verdattert an. Dann brach Paulina in Gelächter aus, das sie sofort mit vorgehaltener Hand zu dämpfen versuchte.
«Verzeihen Sie, Hoheit! Aber ich musste gerade daran denken, was unsere Hausdame mir immer eintrichtert.» Sie ahmte Frau von Herbens bärbeißige Stimme nach. «Kindesmund tut Wahrheit kund, so heißt es zwar im Volksmund, mein liebes Fräulein Paulina, aber das bedeutet noch lange nicht, dass jeder reden kann, wie ihm der Schnabel gewachsen ist!» Zur Bekräftigung wedelte sie mit dem erhobenen Zeigefinger.
Ein herzliches Lächeln ließ Thereses strenge Züge weich werden. Ihre schönen
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