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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rauen
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hübsche, mit Leben erfüllte Frau, war so schemenhaft, dass sie keine klare Vorstellung mehr davon hatte.
    Paulina stand da und wartete auf ein Gefühl der Trauer, doch seltsamerweise spürte sie nichts dergleichen.
    «Warum hat man mich nicht rufen lassen?», fühlte sie sich schließlich verpflichtet zu fragen.
    Die Gräfin hob in einer hilflosen Geste die Arme.
    «Es gab keinerlei Anzeichen. Als Frau von Herben deine Mutter heute Morgen aufsuchte, war sie bereits verschieden. Sie muss friedlich eingeschlafen sein.»
    «Hat meine Mutter irgendetwas hinterlassen?»
    Frau von Bahro schüttelte den Kopf. Sie streckte in einer tröstenden Geste den Arm nach dem jungen Mädchen aus, doch Paulina ging an ihrer Großtante vorbei zum Fenster.
    «Dann werde ich wohl nicht mit nach Schloss Braunshardt fahren können», sagte sie.
    Die Gräfin war hinter sie getreten und legte ihr die Hand auf die Schulter. «Nein, mein Kind. Man erwartet dich im Haus deines Großvaters. Ich habe bereits einen Boten nach Schloss Braunshardt geschickt, um Prinzessin George in Kenntnis zu setzen.»
    Also werde ich das schöne Frühlingsfest verpassen, das die Landgräfin morgen Abend gibt, ging es Paulina durch den Kopf.
    Im nächsten Moment schämte sie sich für ihre Selbstsüchtigkeit. Wie konnte sie nur jetzt an Spiel und Spaß denken?
    Doch allein die Vorstellung, ins düstere Haus ihres Großvaters zurückkehren zu müssen, ließ Paulina den Hauch von Reue, den sie empfunden hatte, schnell wieder vergessen. Entschlossen drehte sie sich zu ihrer Großtante um.
    «Bringen wir es also hinter uns! Möge meine arme Mutter endlich in Frieden ruhen.» Sie ging an der verblüfften Gräfin vorbei in Richtung Tür.
    Dies wird das letzte Mal sein, dass ich das Haus meines Großvaters betrete, schwor sie sich mit einem Gefühl großer Erleichterung.

    Im Hause Dornfeld war die Stimmung noch düsterer als sonst. Der alte Baron hatte nach dem Tod seiner Tochter einen Schwächeanfall erlitten und konnte tagelang das Bett nicht verlassen. Alexander tauchte nur zum Schlafen auf, und Frau von Herben jammerte in einem fort.
    Der einzige Lichtblick in dieser Zeit war ein Brief, den Robert eines Morgens brachte. Er war mit dem landgräflichen Siegel versehen. Paulinas Herz begann vor Aufregung zu klopfen, als sie mit zitternden Fingern das Schreiben öffnete. Sofort erkannte sie die Handschrift von Therese.
    «Liebste Freundin», stand dort zu lesen, «welch schrecklichen Verlust haben Sie erlitten! Wer könnte dies besser nachvollziehen als ich, die ich einen solchen Schicksalsschlag schon zweimal erleben musste.»
    Paulina wurde es warm ums Herz. Therese hatte trotz der Festlichkeiten auf Schloss Braunshardt Zeit gefunden, ihr einen Brief zu schreiben. Ja, die Prinzessin wusste, was es bedeutete, die Mutter zu verlieren. Schließlich war nach ihrer leiblichen Mutter nur drei Jahre später auch ihre Stiefmutter gestorben.
    «Vielleicht heitert es Sie ein wenig auf, wenn ich Ihnen vom großen Fest auf Schloss Braunshardt erzähle», schrieb Therese weiter. «Ich habe mit einem jungen Grafensohn aus Mecklenburg getanzt. Ein wirklich gutaussehender Herr! Das helle, leuchtende Braun seiner Augen erinnert mich an meine Heimat. Es sieht aus wie Bernstein, den man an der Ostsee findet. Können Sie sich die Farbe vorstellen? Wenn er mich ansah, hatte ich das Gefühl, er würde mir auf den Grund der Seele schauen. Eigentlich müssten Sie den Herrn sogar kennen, denn er ist der Enkelsohn Ihrer Großtante. Er heißt Christian von Bahro und ist mit der Gräfin nach Darmstadt gekommen, um mit ihr in die Pfalz zu reisen.»
    So, so, der Enkelsohn der Gräfin Bahro! Paulina lächelte vor sich hin. Wie gerne würde sie nun mit der Freundin im Gartenpavillon von Schloss Braunshardt sitzen und stundenlang die auf dem Fest gesammelten Eindrücke austauschen. In Gedanken stellte sie sich die Laube vor: ein lauschiges Plätzchen mit einer Holzbank, unter den Zweigen eines großen Baumes …
    «Wie eine Trauernde sehen Sie nicht gerade aus», unterbrach die griesgrämige Stimme der Frau von Herben ihre Träumereien. «Man könnte meinen, dass Ihnen statt der Nachricht vom Tod Ihrer Mutter gerade der Brief eines glühenden Verehrers übermittelt worden wäre.»
    Paulina hob den Kopf und sah, dass die Hausdame sie mit lauerndem Blick beobachtete. «Als ob Sie von solchen Dingen etwas verstehen würden», erwiderte die junge Frau bissig, drehte sich demonstrativ weg und vertiefte

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